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Ready to hike/ 15. 03. 2011 |
Von den Abruzzen hatte ich bis zu meiner Italienreise im Frühjahr dieses Jahres noch nicht viel gehört, aber mir war klar, dass es sich um eine gebirgige und dünn besiedelte Region in Mittelitalien handelt. Weitere Recherchen machten mir die Region schmackhaft und so entschied ich mich, auf meiner Italienreise einen Stopp in dem Gebirge einzulegen. Die Abruzzen sind ein wildes und relativ unzugängliches Terrain, die Gegend ist hügelig bis bergig und die Gebirgszüge steigen bis auf 3000 Meter an. Die schier endlosen Bergwälder durchstreifen Hirsche, Gämsen und sogar Wölfe und Bären die regelmäßig für Aufsehen sorgen, wenn sie Schafe oder Ziegen auf den Bergweiden reißen. Schon die Anfahrt zu den Bergen per Zug wurde eine kleine Herausforderung wie sich zeigen sollte.
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Während der Zugfahrt |
Ich brach am Morgen des 14. März von Perugia aus auf, in der festen Absicht an einem Tag bis nach Sulmona, einer Kleinstadt im Süden der Abruzzen zu gelangen. Auf der Karte sah die Distanz nicht allzu weit aus, und so bestieg ich optimistisch den Zug, der mich von Perugia zunächst nach Terni brachte, welches ganz am Rande des Massivs liegt. Dort musste ich erstmal 1 ½ Stunden auf meinen Anschlusszug nach L’Aquila warten, die Hauptstadt der Abruzzen, die auch im Zuge des Erdbebens vom 06. April 2009 dem ein oder anderen noch in Erinnerung sein dürfte. Das Beben richtete schwere Schäden an und forderte 308 Menschenleben. Nach langer Wartezeit kam dann endlich der Zug nach L’Aquila, der sich als äußerst langsam erwies, da er wirklich auch im kleinsten Kaff hielt.
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Sulmona am Abend |
Die Fahrt war dennoch recht kurzweilig, denn es ging nun immer tiefer in die Abruzzen hinein. Immer öfter führte der Weg durch Tunnel und über Brücken, es ging durch Täler die das erste grün des Frühlings zeigten und am Horizont tauchten die ersten wirklich hohen Berge auf. Wer oft in den Alpen wandert, tendiert dazu sich alle anderen Gebirge als klein vorzustellen, doch das trifft auf die Abruzzen sicherlich nicht zu, die Gebirgszüge waren viel höher als ich dachte, oben lag noch dick Schnee. Der Zug fuhr auch auf eine kleine Hochebene, immer wieder wechselte das Wetter, in einem Moment war es sonnig und im nächsten Moment verdunkelten Wolken den Himmel und nahmen einem die Sicht. Am Nachmittag erreichte der Zug dann endlich L’Aquila, manche zerstörten Häuser an der Bahnstrecke, die weder renoviert noch abgerissen wurden, vermitteln einem auch noch zwei Jahre nach dem Erdbeben einen Eindruck der Zerstörungskraft eines solchen Naturereignisses, man kann sich bisweilen fühlen wie in einem Kriegsgebiet. L’Aquila selbst liegt umgeben von hohen schneebedeckten Bergen, doch die Stadt war an jenem Tag nicht mein Ziel, ich wollte weiter nach Sulmona. Auch der Zug nach Sulmona, den ich nach kurzer Wartezeit bestieg war eher von der gemächlichen Sorte und so kam ich erst gegen 18 Uhr in Sulmona an. Dort verpasste ich dann prompt den Bus, der einen von der Bahnstation ins Stadtzentrum bringt, also musste ich wohl oder übel, ausgestattet mit einer ungenauen Karte und Wegbeschreibungen der Einheimischen, die ich kaum verstand, laufen.
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Marktplatz von Sulmona |
Immerhin schien sich nach einem Tag der Sonne, Wolken und immer wieder Schauer gebracht hatte das Wetter zu bessern, als ich in der Dämmerung die große Einfallstraße ins Zentrum hinauflief, umgeben von einzelnen Häusern und Schrebergärten, in der Luft lag ein Hauch von Frühling und die Vögel zwitscherten um dies zu unterstreichen. Und so kam es, dass ich nach über einer halben Stunde Fußmarsch einigermaßen entnervt die Innenstadt der nur etwa 25.000 Einwohner zählenden Gemeinde erreichte. Auch hatte ich keine Unterkunft gebucht, da ich mir stets die Option offenhalten will, einfach irgendwo zu bleiben, wenn es mir gefällt. Diese Taktik hat offensichtliche Vorteile, aber auch Nachteile, zum Beispiel wenn man nach einem langen Tag und Fußmarsch einfach nur einen Schlafplatz sucht, ohne sich in der fremden Umgebung auch nur einen Meter auszukennen. Fremdenverkehrsämter hatten natürlich auch nicht mehr geöffnet, und so entschloss ich mich, das erstbeste Hotel zu nehmen, welches mir begegnen würde. Ich landete in einem Drei-Sterne Hotel im Zentrum und blechte ganze 50 Euro für die Nacht. Nachdem ich dies zähneknirschend bezahlt hatte suchte ich zunächst mal etwas zu essen und schaute mich noch etwas im historischen Zentrum um, übrigens eines der wenigen Wörter die ich absolut sicher beherrsche: Fragend gucken und ‚centro storico’ sagen und der Italiener legt los mit einer wild gestikulierenden Beschreibung, der man auch wenn man der Sprache kaum mächtig ist zumindest meist die grobe Richtung entnehmen kann.
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Das Aquädukt von Sulmona |
Sulmona ist bekannt für ‚confetti’. Nein, nicht das Papierzeugs das man bei uns an Karneval in die Luft schmeißt, es handelt sich hierbei um Drops die außen eine Zuckerglasur mit verschiedensten Geschmacksrichtungen haben, innen ist Schokolade. Auch wenn ich sonst selten kulinarische Köstlichkeiten mit Lokalkolorit teste, das Zeug ist wirklich gut wie ich feststellte. Nach einer entspannten Nacht in meiner bourgeoisen 50 Euro Suite (zum Vergleich: in der Jugendherberge in Perugia zahlte ich nur 15 Euro die Nacht, Mehrbettzimmer zwar aber trotzdem) und einem ausführlichen Frühstück, das im Preis inbegriffen war, fand ich mich an einem sonnigen und milden Frühlingstag auf den Straßen Sulmonas wieder, die Wolken hatten sich über Nacht endgültig verzogen. Nach einer kurzen Besichtigung des Stadtzentrums bei Tageslicht, zu sehen gibt es u.a. ein Aquädukt aus dem Mittelalter, zog es mich höher hinauf in die Berge, ich wollte endlich an einem solch wunderbaren Tag in die ‚Wildnis’, die schneebedeckten Berge lockten hinter dem Ort.
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In Scanno |
Und so bestieg ich den Bus nach Scanno, einem Kaff in den Bergen auf circa 1000 Meter Höhe. Schon die einstündige Fahrt dorthin ist ein Erlebnis, es geht an steilen Schluchten vorbei immer höher hinauf, ab und zu passiert man ein paar kleine Dörfer die sich an den Fels klammern. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel und am Straßenrand lagen noch Schneereste, die letzten Überbleibsel eines kalten Winters. Als ich schließlich als einziger Tourist am zentralen Platz vor der Kirche in Scanno dem Bus entstieg wurde ich von den Einheimischen zunächst neugierig beäugt, die vor dem Kirchplatz die Frühlinssonne genossen und sich in typisch italienischer Manier die Geselligkeit schätzend über Neuigkeiten austauschten. Scanno ist im Sommer ein beliebter Ort für Touristen, die den Ort wegen seinem mittealterlichen Kern und den vielen alten Häusern besuchen. Zudem ist er Ausgangspunkt für Wanderungen und direkt dahinter beginnt der Parco Nazionale D’Abruzzo Lazio E Molise, der kleinste der vier Nationalparks in den Abruzzen. Mitte März jedoch wirkt der Ort eher verlassen und die Einheimischen sind noch weitgehend unter sich, ich hatte kein Problem ein günstiges Quartier zu finden. Direkt danach entschloss ich mich dazu, den noch jungen Tag zu nutzen um in die Berge hinter dem Dorf zu wandern, auch hier oben war es noch sonnig und mild, wer weiß wie lange das Wetter halten würde. Wenn ich etwas entdeckt habe, dass ich unbedingt sehen will, kann ich keine Minute ruhig sitzen bis ich am Ziel bin, soviel sei gesagt. Deshalb stopfte ich in meinem Quartier alles was man so für eine Wanderung braucht von meinem großen Rucksack in den kleinen und weg war ich auch schon wieder. Direkt hinter dem Dorf erkannte ich einen Hang der vielversprechend aussah, dort würde ich hinaufklettern bis ich zum Schnee kam, so zumindest mein Plan.
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Die bäuerliche Welt der Abruzzen |
Mein Weg führte zunächst hinter dem Ortsrand etwas bergab und ich passierte mehere Bauernhöfe. Diese Region der Abruzzen ist wirklich noch sehr ursprünglich, man könnte sich auch ohne große Probleme vorstellen, dass es dort ein Jahrhundert früher fast gleich aussah. Überall roch es typisch nach Bauernhof und Hühner und Pferde sah ich oft, aus den Ställen hörte man Kühe und neugierig wie ich bin näherte ich mich einem Stall, an dem die Tür nur unten zu war, oben konnte man hineinschauen. Vom grellen Sonnenlicht draußen geblendet erkannte ich zunächst gar nichts in dem dusteren Stall, bis auf einmal ein dunkler Schatten mit großer Geschwindikeit auf mich zukam und wild grunzte. Erschrocken sprang ich zurück, und die riesige Sau, die mir, getrennt durch eine niedrige Stalltür gegenüberstand hatte anscheinend auch ihren anfänglichen Mut verloren und wich etwas zurück, mich weiterhin interessiert musternd, vielleicht hatte sie mich für den Bauern gehalten.
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Der Fluss |
Nach dieser tierischen Begegnung erreichte ich ein Tal, dem ich einige Zeit nach oben folgte. Die Hänge dieser Berge sind mit niedrigen Laubbäumen bestanden, die um diese frühe Jahreszeit noch keine Blätter trugen, außerdem sind sie sehr steinig. Nach einiger Zeit am Boden des Tales gelangte ich zu meinem auserkorenen Berg. Wollte ich dort hinauf, und das wollte ich unbedingt, musste ich zunächst den Weg verlassen und einen kleinen Fluss überqueren, der friedlich zu meiner Rechten dahingurgelte. Ich hatte schon die ganze Zeit nach einem geeigneten Übergang gesucht, doch jedes Mal wenn ich an eine Stelle kam die mir von der Ferne geeignet schien über den Fluss zu springen schien mir die Distanz bei eingehenderer Betrachtung doch zu weit. Ich war nie besonders gut im Weitsprung und hatte nicht die Absicht unfreiwillig ein Bad im eiskalten Wasser zu nehmen. Nach geraumer Zeit fand ich endlich eine Stelle, an der man zunächst bis auf eine kleine Sandbank, von dort auf einen Felsen und von diesem zum anderen Ufer springen konnte. Ohne diese Zwischenstationen wäre der Fluss zu breit gewesen um drüber zu kommen, zum durchwaten hatte ich auch keine Lust. Schließlich schaffte ich es trockenenen Fußes auf die andere Seite, versuchte mir die Stelle für den Rückweg einzuprägen und dann stand der schwierigste Teil bevor, der steile Aufstieg.
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Es wird Frühling... |
Dieser Aufstieg, das war mir schon nach den ersten Metern klar, würde wirklich anstrengend werden. Wege haben meist den Vorteil, dass sie in einem vernüftigen Winkel nach oben führen, wenn es zu steil wird verlaufen sie in Serpentinen, so kann man vergleichsweise entspannt Höhenmeter gewinnen. Doch auf den Berg auf den ich wollte führte nunmal kein Weg und so ging es direttisima direkt den steilen Berg hinauf. Und wie steil der war! Auch der Untergund schien etwas gegen mich zu haben, das lose Geröll, dass den Hang an vielen Stellen bedeckte rutschte sofort nach unten wenn ich drauftrat und so lief ich teilweise auf allen vieren den Berg hinauf. Ich bin mir sicher, jeder der mich bei diesem Unterfangen aus der Ferne beobachtet hätte, hätte ersthafte Zweifel an meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit gehabt und auch ich fragte mich, warum ich ausgerechnet auf diesen verflucht steilen Berg wollte. Aber es war zu spät, je höher ich kam umso weniger Sinn hätte es gamacht umzudrehen, außerdem wurde mit jedem Meter nach oben die Aussicht besser, nachdem der Hang unten im Schatten lag sah ich weiter oben zudem die Sonne wieder. An vielen Stellen reckten Krokusse ihre Blüten dem Licht entgegen und der unbelaubte Wald erlaubte einen ungestörten Blick hinab und auf die umgebende Bergwelt, nach einiger Zeit sah ich auch in einiger Entfernung Scanno. Es ging immer höher hinauf und irgendwann behinderte der mehr werdende Schnee den Aufstieg. Am Anfang genügte es noch einfach auf oft besonnte und daher schneefreie Flecken auszuweichen oder mich nah unter den Bäumen zu halten wo ebenfalls kaum Schnee lag. Doch je höher ich gelangte umso tiefer wurde der Schnee, und mit meinen Halbschuhen hatte ich keinerlei Halt in so steilem Gelände wenn ich bis Knöchel oder teilweise bis zum Knie im Schnee stand. Zudem waren meine Halbschuhe aus Rauhleder, wirkten eher wie ein Schwamm und zogen das Wasser des nassen und tauenden Schnees an, ich habe mich schon oft gefragt wer solche Schuhe erfindet.
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Der Schnee wird mehr... |
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Guter Ausblick! |
Nach einiger Zeit und nassen Füßen beschloss ich, auf einer Höhe von etwa 1600 Metern, das ist zumindest meine grobe Schätzung, abzubrechen und setzte mich an einen schneefreien Fleck in die warme Nachmittagssonne, legte meine Schuhe zum trocknen aus und genoß die grandiose Aussicht von meinem Platz mitten im Nirgendwo. Nicht nur Scanno war zu sehen, auch die wirklich großen Berge die überall erkennbar waren und noch tief verschneit dalagen waren beeindruckend, das gute Wetter tat ein übriges um mein Wanderglück perfekt zu machen. Nach einer guten halben Stunde und mit halbwegs getrockneten Schuhen machte ich mich an den Abstieg, der deutlich schneller ging, auch wenn man auf dem losen Geröll höllisch aufpassen musste. Den Fluss fand ich ohne Probleme wieder, und auch die Stelle an der ich ihn überquert hatte. Rückwärts war es dennoch kompliziert an der selben Stelle wieder auf die andere Seite zu gelangen, ich hätte mit großer Zielsicherheit genau euf den Felsen mitten im Fluss springen müssen und von dort wieder auf die Sandbank. Da ich aber unbedingt Anlauf gebraucht hätte um den Felsen zu erreichen und somit nicht wirklich zielgenau hätte draufspringen können, auf dem Felsen hätte ich dann zudem abrupt abbremsen müssen, wäre ich wohl mit ziehmlicher Sicherheit am Ende im Wasser gelandet. Um dem Konjunktiv-Marathon hier ein Ende zu setzten, aus genannten Gründen entschied ich mich gegen den Versuch, der Übergang war eine Einbahnstraße. Zunächst lief ich ein Stück den Fluss hinab, fand aber nirgends einen Punkt an dem das Überqueren möglich gewesem wäre. Also lief ich alles wieder hinauf und suchte notgedrungen eine möglichst breite aber flache Stelle, an der ich durch das Wasser watend auf die andere Seite gelangen konnte. Nach einigem Suchen fand ich eine gute Stelle, zog Schuhe und Socken auf, schnappte mir einen Stock um nicht auf den glitschigen Steinen auszurutschen und wagte mich in das eiskalte Gebirgswasser. Das durchwaten an sich verlief problemlos und auch meine Füße meldeten sich erst als ich am anderen Ufer stand, dort schmerzten sie aufgrund des kalten Wassers. Nach kurzem trocknen lassen der Füße folgte ich dem Tal dann wieder bergab und erreichte kurz darauf wieder Scanno.
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Rechts unten liegt Scanno |
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Scanno bei Nacht |
Am selben Abend schaute ich mich auch nochmal im Dorf um, die Häuser sind wirklich alt und malerisch, es könnte ohne große Arbeit Drehort eines historischen Films werden. Nach diesem wirklich ereignisreichen Tag, an dem ich kaum eine Minute stillstand kroch ich schließlich ins Bett mit dem Vorhaben noch etwas länger zu bleiben um die Bergwelt genauer zu erkunden. Am nächsten Morgen wurde ich jedoch schon vom Sturm, der die Läden wackeln ließ und den Regen gegen mein Fenster peitschte, geweckt. Über Nacht war das Wetter erneut vollkommen umgeschlagen, die Wolken hingen tief über den Bergen, es stürmte und regnete und der warme und sonnige Frühlingstag vom Vortag schien wie ein ferner Traum. Unter diesen Bedingungen ist in einem solchen Kaff wenig anzufangen, bei dem Sauwetter hatte ich jedenfalls keine Lust auch noch durch die Berge zu kraxeln. Und so entschloss ich mich, schnellstens meine Sachen zusammenzupacken und weiterzureisen, um kurz vor neun zahlte ich schließlich in aller Eile mein Zimmer und fünf Minuten darauf saß ich wieder im Bus um weiterzureisen. Trotzdem, die Zeit in den Abruzzen wird mir in bester Erinnerung bleiben, die Bergwelt war fantastisch und irgendwann muss ich zurückkehren um sie mir nochmal genauer anzusehen und mehr davon zu entdecken!
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