Sydney 2007 - work & travel Australia

Donnerstag, 28. April 2011

Warum in die Ferne schweifen...


Miltenberg am Abend des 21. 04. 11
...wenn das Gute so nah liegt? Zugegeben, ich habe da so meine Zweifel mit der generellen Richtigkeit dieses Statements, schließlich reise ich ja nicht umsonst so viel, wenn ich nicht von dem Guten in der Ferne überzeugt wäre könnte ich ja auch hier bleiben. Manchmal aber stimmt dieser Spruch mit Sicherheit, auch unsere deutsche Heimat hat viele wundervolle Ecken zu bieten. Vor allem die Ostertage dieses Jahr passen da hervorragend. Wann gab es schon mal ein so hochsommerliches Ostern? Wir haben es genutzt um nach Miltenberg zu fahren, wo meine Oma und mein Onkel mit seiner Familie wohnt. Miltenberg ist an sich schon ein idyllisches kleines Städtchen, mit historischer Altstadt, umgeben von viel Natur liegt es direkt am Main, die Hügel die sich direkt noch im Stadtgebiet erheben sind nur dünn bebaut, direkt dahinter beginnt der Wald. Linksmainisch, wo auch das historische Miltenberg liegt und der Rest am Hang, auch unsere Anwesen, kommt man in den Odenwald, auf der anderen Mainseite ist es zunächst etwas flacher bevor der Spessart beginnt, wenn man nahe der Ebene bleibt ist man außerhalb des Orts umgeben von Weinbergen, Feldern und Streuobstwiesen.

Blick von der Steige auf Miltenberg
Wer sich alte Kulturlandschaften ansieht, dem ist kaum bewusst wie viel Aufwand es oft war sie anzulegen und zu pflegen. Aufgrund der steilen Hanglagen waren Weinberge und Streuobstwiesen oft terrassiert, eine Technik die heute zu Zeiten maschineller Produktion und Ernte kaum noch lohnt. Nur an wenigen Lagen wird noch Wein in Steilhängen angebaut in die kein Traktor fahren kann, wenn man nicht wirklich hohe Preise für den Wein verlangen kann lohnt die viele Handarbeit, die natürlich ihr Geld kostet, kaum noch. Bei den Streuobstwiesen die oberhalb von Miltenberg liegen ist die Situation ähnlich, zwar waren die nie in kommerzieller Nutzung sondern fast immer nur zum Eigenbedarf, aber immer mehr Leute scheuen den Aufwand diese terrassierten Gärten zu pflegen. Wir haben gleich zwei davon, zum Glück ist einer verpachtet. Noch recht früh am Morgen biegen wir am Karfreitag von der Landstraße ab, es geht durch den schattigen Frühlingswald einen Forstweg entlang bis zu unserem Grundstück. Der Garten hat neun Ebenen, von ganz oben bis ganz unten sind es zwanzig Höhenmeter. Der Blick auf die Stadt, die Hügel und sogar den Main ist wirklich schön, nur kommt man leider viel zu selten dazu ihn wirklich zu genießen. Auch an Ostern ging es zunächst mal darum das Gras zu mähen, das schon sehr hoch stand. Noch dazu war das Grundsstück die letzten Jahre ebenfalls verpachtet, wurde aber nicht gut gepflegt. Die Sandsteinmauern der einzelnen Terassen waren oft überwuchert von Gestrüpp und ziehmlich fiesen Brombeeren, die sogar schon in die Obstbäume hineinwuchsen. Der Lärm der Maschinen die sich durch hohes Gras und Gestrüpp kämpften übertönte für einige Zeit die sonst so harmonische Ruhe. Das Mähen an den Hängen ist eine Herausforderung und auch die großen Geräte die Mauern hoch und runterzutragen ist nicht ohne. Wenn man dann aber am Ende das Ergebnis sieht und der Garten wieder ordentlich wirkt weiß man was man geschafft hat.
Gereinigte Mäuerchen
Am Abend des 22. 04. im Spessart
Am Abend, als es langsam dämmerig wird, fahren wir mit meinem Onkel, der Biologe und Experte für heimische Flora und Fauna ist, über die noch fast neue Mainbrücke auf die andere Seite des Flusses und in den Spessart hinein. Wir sind auf der Suche nach verschiedensten Tieren, unter anderem dem Steinkauz, der eigentlich ein typischer Steppenbewohner ist, und im Gegensatz zum Waldkauz, offene Landschaften liebt die ihm einen guten Überblick bieten. Die Ausläufer des Spessarts sind da ideal, es gibt viele Felder und Wiesen, und dank der Renaturierungsprojekte und einheimischer Bauern auch zahlreiche Streuobstwiesen die dem Steinkauz als Nistmöglichkeit dienen. Es wird zunehmends dunkler als wir anhalten und aussteigen. Mein Onkel ahmt den Ruf eines Steinkauz nach und hofft das irgenein Kauz sich animiert fühlt zu antworten. Bestimmt eine Viertelstunde wandern wir durch eine Streuobstwiese, mein Onkel gibt sein bestes, aber es ist der typische Vorführeffekt, nichts tut sich, vielleicht denkt sich der Steinkauz auch nur „was für ein seltsamer Kauz ist das denn?“ Also fahren wir weiter. Die Felder und Wiesen sind nunmehr nur noch schemenhaft zu erkennen, als wir kurz hinter Röllbach wieder anhalten. Diesmal geht es nicht um den Steinkauz sondern um Laubfrösche, die in isolierten Populationen noch an einigen Stellen im Spessart vorkommen. Wir laufen, mittlerweile mit Taschenlampen ausgestattet, zu einem Teich und lauschen. Doch irgendwie scheint das Glück heute nicht auf unserer Seite zu sein, man hört nur Wasserfrösche, eine Art die es fast überall gibt. Wir drehen also wieder um. Kurz bevor wir wieder am Auto angelangt sind dann das für Laubfrösche typische laute „gäck gäck gäck“. So wie es sich anhört sind wir zunächst in die falsche Richtung gelaufen, ein einzelner Laubfrosch sitzt irgendwo nicht allzu weit entfernt. Wir überqueren eine Straße und laufen in die andere Richtung als zuvor. Das quacken wird mit jedem Meter lauter, man kann es recht gut lokalisieren. Doch irgendwann, es können nur noch ein paar Meter gewesen sein, steht uns ein hoher Zaun im Weg, die Chance den Frosch tatsächlich zu sehen wäre aber ohenhin gering, es geht um das Hörerlebnis. Solche Froschexkursionen sind vielleicht weniger spektakulär als in irgendeinem Safaripark in Afrika an Elefanten und Löwen vorbeizufahren, aber dafür ist man viel unmittelbarer dabei und die Gefahr von irgendwelchen Raubtieren gefressen zu werden hält sich im Spessart auch eindeutig in Grenzen.

Auf Exkursion...
Wir wollen erneut umdrehen als ein weiterer Laubfrosch in der Ferne antwortet und sofort wieder verstummt. Der Ruf genügte aber um die ungefähre Richtung zu erkennen und so laufen wir über eine Wiese in Richtung der Rufe. Am Nachthimmel, der mittlerweile voller Sterne ist, zucken immer wieder Blitze in der Ferne und erleuchten alles für den Bruchteil einer Sekunde, Donner ist nicht zu hören. Nach dem es ein sonniger und für April sehr warmer Tag war, legt sich nun der Tau auf die Wiesen als wir in Richtung des ruffaulen Laubfroschs laufen. Die Kegel der Lampen erfassen immer nur ein paar Meter, vor uns scheint nur Wiese zu liegen. Der Laubfrosch meldet sich nicht mehr und so beschließen wir, als wir auf einen Weg treffen, diesem bis zur Straße zu folgen und zum Auto zurückzukehren. Irgendwo am Waldrand höhrt man immer wieder das tiefe dumpfe blöhcken von Rehen, leiser als im Herbst in der Brunftzeit, aber wenn man nicht wüsste, dass es sich um harmlose Pflanzenfresser handelt könnte man anhand der unheimlichen Rufe durchaus Zweifel an der Friedfertigkeit dieser Tiere haben.

Die Ringelnatter
Wieder fahren wir eine Weile, diesmal bis zu einer Kiesgrube bei Großheubach. Auch hier antwortet kein Laubfrosch, dafür wieder zahlreiche Wasserfrösche. An den Tümpeln wimmelt es nur so von Kaulquappen, eine Erdkröte läuft gemächlich in Richtung des Wassers. Auf einmal schlängelt sich etwas aufgeschreckt Richtung Tümpel, bevor sie verschwindet greife ich zu und habe eine kleine Ringelnatter in der Hand, schon die zweite in diesem Jahr. Die Schlangen lieben das Wasser, können gut tauchen und essen, als echte Feinschmecker wie die Franzosen, gerne Frosch. Kein Wunder, dass die sich hier wohlfühlt. Kurz darauf schlängelt sich noch eine zweite Ringelnatter im Wasser, auch die gerät in vorübergehende Gefangenschaft. Und auch wenn wir in dieser Nacht keinen Laubfrosch mehr gesehen oder gehört haben war es eine interessante Exkursion in die heimatliche Natur, die von den allermeisten unbeachtet, oft direkt vor der Haustür liegt.
Eidechse/ 23. 04. 11

Blick auf den Gegenhang
Auch am nächsten Tag geht es nochmal hoch zur Steige, der Name für diese Art Garten ist wirklich treffend, denn man muss ständig „steigen“. Diesmal sind die Sandsteinmauern dran, die an vielen Stellen von Gestrüpp überwuchert sind. Eigentlich haben wir die schönste Zeit des Jahres erwischt, überall ist das frische Grün zu sehen und die frühe Apfelblüte krönt das Ganze noch, wenn es so weitergeht gibt es im Herbst wieder eine Menge Äpfel zu ernten. Bei der Arbeit an den Mauern, die dringend von den Pflanzen befreit werden müssen, begegnen einem immer wieder Tiere für die diese Mauern ein wichtiger Lebensraum sind. Eidechsen und Blindschleichen können sich darauf sonnen und die Ritzen bieten zahlreiche Versteckmöglichkeiten, am Morgen sind sie oft noch langsam und vollkommen überrascht wenn man sie plötzlich mit einem Büschel von Pflanzen ans Licht befördert. Mein Bruder hat sich mal wieder die schlimmste Mauer ausgesucht und ringt mit Brombeeren als ginge es um Leben und Tod. Doch das Endergebnis kann sich sehen lassen, die Wiese ist kurz, die Mauern frei und das Gestrüpp, das in die Obstbäume wucherte, ist entfernt. Auch wenn am Ende das genießen der Natur fast etwas zu kurz kam war es doch eine sinnvoll verbrachte Zeit die definitiv mehr mit echtem gelebten Naturschutz zu tun hat als vieles andere was zur Zeit so propagiert wird. Wenn man es noch dazu für die eigene Familie, in so schöner Landschaft und bei dem einmaligen Wetter macht lässt sich leicht vergessen, dass es sich eigentlich um Arbeit handelt.

Dienstag, 19. April 2011

Das New York des Nahen Ostens


Der Strand
So bezeichnet sich selbstbewusst Tel Aviv, die 400.000 Einwohner zählende Stadt am Mittelmeer, im Großraum der Stadt allerdings leben ungefähr zwei Millionen Menschen, das größte städtische Ballungsgebiet in Israel. Sicherlich ist Tel Aviv eine kosmopolitische und moderne Stadt, eine Schmelztiegel der Nationen und gleichzeitig das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum das Landes. Nicht das politische Zentrum, auch hier gibt es eine Besonderheit, die man wohl in keinem anderen Land der Erde findet. Tel Aviv war so etwas wie die Hauptstadt Israels, bis das Land 1980 auch den Ostteil Jerusalems annektierte und Jerusalem offziell zur Hauptstadt Israels erklärte. Dies wurde von der internationalen Gemeinschaft jedoch nicht anerkannt, und so ist Jerusalem die Stadt in der das israelische Parlament, die Knesset, seinen Sitz hat, während alle Botschaften in Tel Aviv ihren Sitz haben. Während Jerusalem als religiös und konservativ gilt, ist Tel Aviv eine moderne und liberale Metropole mit einer sehr aktiven Künstlerszene, vielen Partymöglichkeiten und langen Sandstränden.

In Jaffa
Ich kam am zweiten September 2010 aus Jerusalem nach Tel Aviv, ich dachte zumindest ich sei in Tel Aviv als ich aus dem Bus ausstieg. Auf meinem Stadtplan hatte ich den Busbahnhof schnell gefunden und mir bereits die Route von dort zu meinem hostel eingezeichnet. Nun stand ich etwas konfus an der Bushaltestelle, die Straßennamen stimmten überhaupt nicht mit denen auf der Karte überein, außerdem verliefen sie ganz anders, mich beschlichen ernste Zweifel ob ich tatsächlich da war wo ich dachte, dass ich sein müsste. Der Bus hatte gehalten, es war ganz offensichtlich die Endhaltestelle und so war ich überzeugt am Ziel zu sein, ratlos stand ich nun vor dem Schild, welches auf hebräisch den Namen der Bushaltestelle trug. Des hebräischen nicht mächtig war ich hilflos wie ein Analphabet, nur die Straßennamen, die auch auf Englisch waren, halfen mir etwas weiter. So fragte ich einen Israeli der mir entgegen kam, ob ich denn in Tel Aviv sei. Das verneinte er und sagte ich sei in Ramat Gan. Dazu muss man wissen, dass Tel Aviv im Norden nahtlos in Ramat Gan übergeht, ich war also nicht komplett falsch. Der Israeli, der offenbar den ratlosen Ausdruck in meinem Gesicht bemerkt hatte, bot mir an, mich nach Tel Aviv mitzunehmen, er wolle da sowieso gerade hin. Dieses Angebot schlug ich natürlich nicht aus und nach ein paar Metern erreichten wir sein Auto und waren auf dem Weg nach Tel Aviv. Während der Fahrt erklärte er mir dann sogar, wie ich von dem Punkt an dem er mich absetzen würde zu meine hostel käme. Ich bedankte mich für seine Hilfe und fand mein hostel anschließend ohne Probleme.

Gasse in Jaffa
Im Süden von Tel Aviv, ganz in der Nähe meines hostels, geht die Stadt in Jaffa über. Jaffa ist die ehemals arabische Siedlung, die von ihren Bewohnern im Krieg 1948 aber verlassen wurde, einige wurden auch von der israelischen Armee vertrieben, das jüdisches Pendant dazu war Tel Aviv. In Jaffa fühlt man sich wie in einer anderen Welt wenn man aus Tel Aviv dorthin kommt, ich hielt mich dort oft auf, denn von meinem hostel war es nur ein kurzer Fußweg. Jaffa besteht aus vielen aufwändig restaurierten alten Gebäuden, man kommt sich eher vor wie in einem kleinen Dorf, die engen Gassen erinnern an das alte Palästina, man könnte vergessen dass man sich in einer modernen Großstadt befindet wäre da nicht die Skyline von Tel Aviv in der Nähe. Immer wieder gibt es kleine aufwändig begrünte Gärten, eine Unzahl an Katzen streift durch die alten Gemäuer und es ist kaum vorstllbar, dass dieser Teil der Stadt vor wenigen Jahrzehnten noch ein heruntergekommener Problembezirk war. Man verleugnet nicht die arabischen Wurzeln, einige Minarette mit Halbmond stehen noch, und auch der alte Uhrturm ist sehenswert. Jaffa liegt zudem auf einem kleinen Hügel, von dort hat man einen fantastischen Blick auf den langezogenen Strand von Tel Aviv und die Stadt an sich, zudem gibt es einen Park dort oben der zum verweilen einläd. Auch Nachts ist der Blich auf die hell erleuchtet Skyline von Tel Aviv wirklich beeindruckend.

Bauhaus I
Eine andere Besonderheit Tel Avivs ist, dass das Stadtbild durch den Bauhausstil geprägt wird. Die zumeist in den 30er Jahren errichteten Gebäude, viele davon von aus Deutschland geflüchteten Juden entworfen und gebaut, sind weiß getüncht, womit Tel Avivs Beiname ‚Weiße Stadt’ erklärt wäre. Das Zentrum dieses archtektonischen Stils in Tel Aviv ist der Rothschild Boulevard der 2003 zum UNESCO-Welterbe erhoben wurde. Hier haben eingewanderte Architekten die Idee des Bauhauses in all ihren Variationen umgesetzt, heute ist der Kontrast zu den Wolkenkratzern, die inzwischen auch diesen Boulevard prägen, auffällig. Es ist in jedem Fall eine sehr interessante Mischung und ich wanderte entlang einer speziellen Architekturroute durch die Straßen Tel Avivs um mir die verschiedenen architektonischen Richtungen anzusehen. Ich muss zugeben, in Kunst war ich nie besonders gut und meine Bilder hätten auch die eines durchschnittlich begabten Dreijährigen sein können, aber der Bauhausstil Tel Avivs hat mich dennoch sehr interessiert. Lange Zeit drohten diese Gebäude zu verkommen, das oft schwül-feuchte und salzige Meeresklima kombiniert mit den Abgasen der Stadt setzte der historischen Bausubstanz schwer zu, die weißen Fassaden wurden grau, bevor sich die Stadt diesem Symbol annahm. Mittlerweile sind viele Häuser renoviert und erstrahlen zwischen den Hochhäusern in neuem Glanz.
Bauhaus II

Tel Avivs Skyline bei Nacht
Ein anderer Anziehungspunkt Tel Avivs ist natürlich der Strand, gerade im heißen Sommer können es die Menschen kaum abwarten nach einem Arbeitstag aus der stickigen Betonwüste herauszukommen, die vielbefahrene Promenade zu überqueren und dann die frische Brise am Strand zu genießen, sich in die Sonne zu legen oder eine Runde zu schwimmen. Doch auch an den langen Sandstränden gibt es die für Israel so typischen Eigenheiten. Im Norden Tel Avivs etwa gibt es denn „religious beach“ der paradoxerweiße direkt neben dem „gay beach“ liegt. Den religiösen Strand bevölkern je nach Wochentag mal Männer und mal Frauen, wobei die Männer an vier Tagen die Woche Strandvergnügen haben können, die Frauen nur an drei. Dabei geht es darum, nicht wie an einem normalen Strand des sehr liberalen Tel Aviv, zu viel nackte Haut des anderen Geschlechts sehen zu müssen, für orthodoxe Juden inakzeptabel. Warum ausgerechnet neben diesem Strand, der mit einem hohen Sichtschutzzaun zu allen Seiten außer zum Meer hin vor aufdringlichen Blicken geschützt ist, der Strand für Schwule und Lesben liegt ist mir ein Rätsel. Auch dieser Strand ist mit Sichtschutzzäunen abgesperrt, allerdings ist jeder willkommen diesen Strand zu benutzen, homo oder hetero. Insgesamt sind die langen Strände herrlich zum entspannen, ich hielt mich meist im Süden auf, auf der einen Seite lag auf dem Hügel Jaffa, auf der anderen Tel Aviv mit seinen markanten Hochhäusern. Fazit: Tel Aviv ist eine sehr lebenswerte und höchst interessante Stadt, aber um sie genauer kennen zu lernen müsste ich wohl mal länger dort sein als nur ein paar Tage.
Uhrturm Jaffa

Sonntag, 17. April 2011

Unterlassene Hilfeleistung?


Proteste in Kairo
Wenn man vor einem Jahr in die arabische Welt schaute sah man, zumindest politisch, meist Stillstand. Das hat sich in den letzten Monaten radikal verändert, angefangen mit der Revolution in Tunesien, ging es weiter mit der Revolution in Ägypten und nun kämpft schon seit Wochen Libyen um seine Freiheit. Ich gebe zu, ich war sehr optimistisch als ich vom Aufstand in Libyen hörte. Wer hätte sich nicht gewünscht, dass der Machtwechsel so vergleichsweise schnell und unblutig vollzogen wird wie in Tunesien und Ägypten zuvor? Doch so kam es leider nicht, das freie Libyen ist entschlossen die neue Freiheit zu verteidigen, aber ebenso entschlossen scheinen Gaddafis Anhänger und Soldaten ihren Despoten mit allen Mitteln an der Macht zu halten. Die Lage in Libyen ist komplex, mit verschiedensten Stämmen und Loyalitäten die für Europäer schwer zu überblicken sind, aber darum soll es hier auch gar nicht gehen.

Verletzter in Tunesien
Vielmehr bin ich über die Rolle die unsere westliche demokratische Welt in Nordafrika spielte tief enttäuscht. Unseren Politikern scheint auch der letzte Rest Idealismus abhanden gekommen zu sein, das einzige was sie zu kennen scheinen sind die erbarmungslosen Regeln der Realpolitik in der nicht der geringste Platz ist für irgenwelche romantischen Revolutionsideale. Bei jeder Gelegenheit reden westliche Politiker von der immensen Bedeutung der Demokratie, aber geht es dann um konkrete Schritte Menschen die gegen Unterdrückung und Diktatur, und für eben diese von uns Europäern angepriesene Demokratie auf die Straße gehen oder sogar kämpfen, ist die Reaktion der westlichen Welt mehr als träge und inkonsequent. Klar, nichts spricht gegen eine sinnvolle Realpolitik, die ökonomischen Ziele der europäischen Länder sind viel zu egoistisch, Solidaritätsbekundungen hin oder her, das es gar nicht anders geht. Auch beim Thema der nordafrikanischen Flüchtlinge hört bei den Europäern schlagartig die so oft beschworene Solidarität auf. Warum soll Italien alleine mit den Flüchtlingen fertig werden? Es ist ein europäisches Problem, kein italienisches. Wenn dann Reaktionen der Politiker kommen, Italien solle das Problem alleine lösen darf es niemanden verwundern wenn die Italiener den Flüchtlingen Transitvisa ausstellen. Wir wollen keine Fremden in Europa, wir igeln uns lieber ein in unserer Insel des Wohlstands und der Ordnung, andere scheinen da unerwünscht. Dass diese Menschen die pure Not und Verzweiflung treibt und sie ihr Leben riskieren, nur um dann in Europa angekommen direkt wieder abgeschoben zu werden, wird dabei gerne mal ignoriert.

Tahrir-Square Cairo
Aber zurück zum Thema wie doppeldeutig die Haltung der Europäer zum Thema Demokratie ist. Wenn sich ein deutscher Politiker mit chinesischen Politikern trifft wird stets am Rande das Thema Menschenrechte angeschnitten, aber es geht nicht wirklich darum. Die westlichen Politiker halten sich selbst für ethisch verpflichtet ab und zu alibimäßig darauf aufmerksam zu machen, dass sie mehr Demokratie und Menschenrechte in Ländern wie China oder Russland schon irgendwie gut fänden. Das war es dann aber auch schon, man schaut lieber weg um die guten Wirtschaftsbeziehungen nicht zu gefährden, in einer derartig globalisierten Welt ist man gegenseitig aufeinander angewiesen, da strebt kein Land einen Don Quijotte-Kampf an, der ohnehin reichlich aussichtslos wäre. Soweit kann ich die Politik etwas nachvollziehen, schließlich wären wir verwöhnten Deutschen die ersten die jammern würden wenn wir aufgrund niedrigerer Exportquoten in Länder, die nicht unseren demokratischen Maßstäben entsprechen, mit ernsten Nachteilen rechnen müssten.

Luftangriff in Libyen
Diese Realpolitik ist wohl unvermeidbar und nicht immer nur negativ. Aber: Ich kann nicht verstehen, warum man sich selbst bei einem Land wie Libyen so zögerlich verhält, vor allem die deutsche Regierung war ja kaum dazu zu bewegen sich überhaupt in irgendeiner Art und Weise auf ein Engagement einzulassen. Die Hauptverantwortung liegt ohnehin bei der Nato, wir hätten nur etwas abnicken müssen, doch sogar davor scheuten unsere Politiker zurück. Keine Frage: Die möglichen Konsequnzen eines solchen Einsatzes sollten gut durchdacht sein, aber man kann sich schon fragen warum wir in Afghanistan sind aber Libyen kaum nennenswert unterstützen. Und dabei geht es noch nicht mal um konkrete militärische Maßnahmen, man kann sehr wohl humanitäre Hilfe leisten oder sich militärisch an Aufklärungseinsätzen beteiligen ohne dabei Bomben zu werfen oder direkt an der Front zu operieren. Es wäre nicht viel mehr gewesen als eine symbolische der Geste der Solidarität mit den Menschen die in Libyen ihr Leben für Freiheit und Demokratie riskieren. Doch selbst das schien von unserer Regierung zu viel verlangt zu sein. Wir haben Worte, Gaddafis Truppen haben Waffen. Immer noch ist kein Ende der Gefechte in Libyen absehbar, und das trotz der Luftangriffe der Nato, die den Konflikt wohl nicht entscheiden werden können. Aber ich bleibe dabei, es geht nicht nur ums gewinnen. Für die Rebellen sicherlich, für die westliche Welt geht es aber auch darum, ein Stück Glaubwürdigkeit, dass man bei den jungen Menschen die in der arabaischen Welt für ihre Freiheit auf die Straße gegangen sind, egal ob in Tunesien, in Ägypten oder nun in Libyen, zurückgewinnt.

Libysche Oppositionelle
Es macht einen traurig zu sehen, dass die Menschen in Libyen im Stich gelassen werden. Den Beteiligten dort muss so etwas wie blanker Hohn vorkommen. Die Europäer, und auch speziell die Deutschen, reden immer und ständig von Demokratie und demokratischen Reformen in der arabischen Welt, ihr Handeln aber lief oft genau konträr. Egal ob es darum ging von arabischen Ländern billiges Öl zu bekommen, ob diktatorische Systeme angenehm waren um die Flüchlinge abzufangen und heimzuschicken bevor sie je europäisches Territorium erreicht hatten, oder arabische Führer die im Kampf gegen den Terrorismus für wichtig gehalten wurden, es schien immer Gründe zu geben die eigenen politischen Grundsätze zu verleugnen. Und da wir immer noch nur viel zu langsam und zögerlich handeln verlieren wir das letzte bisschen Glaubwürdigkeit. Bleibt zu hoffen das trotz dieser unterlassenen Hilfeleistung der Umbruch in Libyen erfolgreich sein wird und die Menschen endlich in Frieden und Freiheit werden leben können, doch dieser Traum scheint in weite Ferne gerückt und der Ausgang des Konflikts äußerst ungewiss.

Samstag, 16. April 2011

Chaotisch, chaotischer, Kairo

Während der Ägypt. Revolution
Ein Kulturschock ist bei vielen Deutschen, die Ordnung und Sauberkeit scheinbar mit der Muttermilch in sich aufsaugen, kaum vermeidbar wenn sie zum ersten Mal in die ägyptische Metropole am Nil kommen. Ägyptens Hauptstadt ist laut, quirlig und chaotisch ohne Beschreibung, doch gleichzeitig übt sie auch eine unglaubliche Faszination aus. Wenn man durch die Gassen der Altstadt flaniert die von unendlich vielen Händlern bevölkert werden, vorbei an alten Moscheen und neueren Gebäuden, dann merkt man, dass eine interessante Mischung aus Tausendundeiner Nacht Flair und der Moderne das Stadtbild prägt. Besonders jetzt, nach der Ägyptischen Revolution, wäre ich gerne nochmal in Kairo um hautnah zu erleben, was sich verändert hat und wie sich die Stimmung der Leute auf der Straße gewandelt hat, nachdem sie so erfolgreich für ihre Freiheit auf die Straße gegangen sind und einen Diktator vertrieben haben, bei denen sich viele Experten sicher waren er würde bis zu seinem Tod über das Land regieren.

downtown Cairo
Aber der Reihe nach. Ich kam am 16. Dezember 2010, dem totalen Schneechaos in Deutschland gerade noch rechtzeitig entrinnend bevor der Flugverkehr kollabierte, Abends in Kairo an. Wohnen würde ich bei Hanna, einer guten Freundin, die schon seit August in Kairo war und dort ein Praktikum beim Deutschen Akademischen Auslandsdienst machte. Hanna’s Quartier lag unweit dem Zentrum Kairos, im Stadtteil Agouza, eine geräumige Wohnung die sie sich mit einer anderen Deutschen teilte, bzw. zur Untermiete dort wohnte. Die erste Herausforderung war die dorthin zu gelangen. Etwa 24 Stunden zuvor hatte ich noch gelangweilt in einem Seminar an der Uni gesessen während draußen leise der Schnee vor sich hinrieselte, und nun war ich in Ägypten gelandet. An Taxifahrern gibt es am Flughafen wahrlich keinen Mangel, man wird geradezu von ihnen belagert. Entnervt wie ich nach dem Flug war ließ ich mich von einem Fahrer zu seinem Auto bugsieren, immer wieder nach dem Preis fragend. Letztlich zahlte ich viel zu viel, und das obwohl mich Hanna noch gewarnt hatte und eine Preisspanne nannte die noch akzeptabel sei, es sei nur kurz erwähnt: Ich tat mein bestes um die ägyptische Wirtschaft anzukurbeln, sagen wir einfach es war ein Akt karitativer Großzügigkeit eines verzogenen Kindes des Westens.

Eine Moschee bei Nacht
Es war bereits dunkel als mein Taxifahrer, der einen wahren Bleifuß hatte, auf die große vielspurige Stadtautobahn auffuhr die ins Zentrum Kairos führt. Wir fuhren bestimmt eine ¾ Stunde durch die Nacht, und die ganze Zeit waren am Rande der Straße endlose Häuserzeilen zu sehen, mit über 20 Millionen Einwohnern laut offizieller Statistik ist Kairo nicht gerade eine überschaubare Hauptstadt. Schließlich überquerten wir den Nil und mir war klar, dass das Ziel nun nicht mehr allzu weit entfernt sein konnte, da Hanna jeden Morgen auf die Nilinsel ez-Zamalek, die offiziell Gezira heißt, musste, da dort der DAAD in der ehemaligen deutschen Botschaft der DDR seinen Sitz hat. Auf der Insel befinden sich außerdem einige andere Botschaften sowie viele Hotels und Restaurants. Aber zurück zu unserem überbezahlten Taxifahrer, der bis hierhin seinen Job recht gut gemacht hatte, auch wenn ich ab und zu echte Bedenken hatte ob ich mein Ziel je lebend erreichen würde. Straßenverkehrsordnungen scheint der Ägypter nicht zu kennen, oder aber falls er sie kennt legt sie der dortige Durchschnittsautomobilist sehr großzügig aus. Die Geräuschkulisse ägyptischer Straßen ist zudem ohrenbetäubend, wer denkt das Italiener viel hupen, dem sei empfohlen sich mal nach Ägypten zu begeben. Der Ägypter hupt ständig, und anders als hier wird dies nirgends als rüde Warnung aufgenommen, sondern es ist ganz normal und mehr ein „hier fahre ich“ das immer zum Einsatz kommt, egal ob beim überholen oder Spur wechseln. Merke: Hupen kann nie verkehrt sein! Mein Taxifahrer jedenfalls, der wohl heimlich von einer großen Karriere als Rennfahrer träumte, raste, die Fenster runtergekurbelt und die mir unverständliche arabische Musik voll aufgedreht durch die Nacht. Ich kann nicht von mir behaupten besonders langsam unterwegs zu sein wenn ich Auto fahre, aber einen solch suizidalen Fahrstil lege ich nur selten an den Tag. An uns vorbei flogen endlose Wohnhäuser, mal überholte er rechts, mal links, und erst als er nach der Nilbrücke offensichtlich genauer nachdenken musste wo er eigentlich hin wollte, fuhr er spürbar langsamer. Irgendwann hielt er dann am rechten Straßenrand an und studierte interessiert die Karte die ich ihm am Flughafen gegeben hatte. Ich hatte gesagt „Augouza“ woraufhin er nickend antwortete „no problem“. Nach dieser ausführlichen Konversation war er losgefahren und nun standen wir irgendwo in Kairo und der Mann wirkte reichlich verwirrt. Mindestens zehn Minuten starrte er wie hynotisiert auf die Karte als warte er auf eine göttliche Eingebung die ihm den Weg weisen würde. Ich wurde langsam etwas nervös, sagte aber nichts und dachte mir, wenn ich schon so viel Geld zahle bleibe ich in diesem Taxi so lange sitzen bis ich am Ziel bin, und wenn er die ganze Nacht sucht. Nach weiteren fünf Minuten kam meinem Taxifahrer dann die glorreiche Idee in der Autowerkstatt zu fragen, die direkt am Straßenrand lag. Nach einer kurzen Konversation in dessen Verlauf ich nur das „schukran“ (danke) des Taxifahrers am Ende verstand, fuhr er weiter. Nach weiteren zehn Minuten Suche unter gewohnter Missachtung sämtlicher Verkehrsregeln und falschherum befahrener Einbahnstraßen hielt er endlich an und ich erkannt an einem Wohnhaus das Schild „Smile Center“, das Hanna erwähnt hatte, ich war also da! Darüber war ich auch echt erleichtert, leicht ermüdet erzählte ich Hanna davon, wie ich mich, trotz ihres Tipps wie viel ich sinnigerweise zahlen konnte etwas über den Tisch hatte ziehen lassen. Die Wohnung lag in angenehmer Lage in einem ruhigen Viertel abseits der großen und lauten Straßen, ein Hort der Ruhe in einer lauten Stadt. Direkt davor war eine Art Park und die Bäume waren in ihrem grün ein angenehmer Kontrast zur Betonwüste der Stadt, ich fühlte mich jedenfalls sehr wohl.

An den Pyramiden von Gisa
Am nächsten Morgen wollte ich mir die Pyramiden von Gisa und die Sphinx ansehen, die am Rande Kairos liegen, die Metropole kommt den Bauwerken mittlerweile bedrohlich nahe. Selbstverständlich muss man sich das einzig erhaltene der sieben antiken Weltwunder ansehen, wenn man schonmal in der Stadt ist. Hanna, die mit fast allen die sie bis zu diesem Zeitpunkt besucht hatten an den Pyramiden war, wollte sich das, im Nachinein kann ich es gut verstehen, nicht noch einmal antun. Diesmal war ich auch fest entschlossen, nur mit den weißen Taxis, die mit Taxameter, zu fahren und nicht noch einmal viel zu viel zu bezahlen. Nach kurzer Zeit fand ich ein weißes Taxi und der Fahrer schien mein Ziel sofort zu verstehen, ich deutete einfach auf eine Seite meines Reiseführers auf denen die Pyramiden abgebildet sind. Nach einiger Zeit, kurz bevor wir die Pyramiden erreichten, stieg ein Mann zu, der sich sofort vorstellte und mir anbot, mich auf Pferd oder Kamel zu den Pyramiden zu bringen. Auch wenn ich deutlich machte, dass ich keinerlei Interesse hatte fuhr der Taxifahrer in eine Seitenstraße und dann in einen Hof. Hier versuchte der äußerst geschäfstüchtige Zugestiegene sein bestes um mich in holprigem Englisch davon zu überzeugen per Pferd zu den Pyramiden zu gelangen. Mehr als einmal erwähnte er „good price“, offensichtlich eine Verkaufsstrategie die ihm erfolgversprechend erschien, und ich brauchte eine ganze Weile den Taxifahrer dazu zu bringen weiter zu fahren. Das tat er tatsächlich erst als ich Anstalten machte den Fahrer zu bezahlen um auf die Hauptstraße zurückzukehren und das letzte Stück zu den Pyramiden zu laufen. Der Pferdebesitzer reagierte etwas ungehalten auf einen solchen Einfall eines sturen Deutschen, doch der Taxifahrer ließ den Motor an und fuhr, ohne weitere Leute die ähnliches vorhatten zusteigen zu lassen, zu den Pyramiden. Auch an den Pyramiden angelangt wird man alle fünf Meter gefragt ob man nicht auf einem Kamel oder Pferd reiten will, es bleibt einem nichts anderes übrig als alles zu ignorieren und bloß nicht den Fehler zu machen nach links oder rechts zu schauen, das erhöht die Gefahr noch öfter angesprochen zu werden drastisch. Die Pyramiden sind schon beeindruckende Bauwerke, auch die Sphinx, bei der, jeder geschichtlich Gebildete wird es wissen, Obelix die Nase abgebrochen hat, wirken wirklich enorm groß wenn man davor steht. Trotz dessen, dass es an den Pyramiden von Touristen, darunter sind auch sehr viele Ägypter, nur so wimmelt kann man doch erahnen, was es für eine riesige Herausforderung gewesen sein muss diese Bauwerke zu errichten, und alles nur um dann einen einzigen Toten darin zu begraben, aber auch hier beziehe ich mich gerne wieder auf Obelix, der ja sagte: „Die spinnen die Ägypter“. Als Ausländer wird man immer wieder von Ägyptern angesprochen, obwohl die eigentlich an die vielen Touristen gewöhnt sein müssten, aber man scheint dennoch als Europäer irgendwie exotisch zu sein. Sarah, eine Freundin die einige Wochen zuvor bei Hanna in Kairo zu Besuch war, da blond und relativ groß, war endgültig eine faszinierende Figur für die Ägypter, und so konnte ich immerhin froh sein, nicht ganz so sehr aufzufallen. Die Rückfahrt nach Agouza verlief dann auch ohne Probleme.

El Ashar Park
Am Abend fuhren wir, mit einigen anderen Deutschen die Hanna während ihres Praktikums kennengelernt hatte, zum El Ashar Park, der so etwas wie die grüne Lunge Kairos ist. In den Straßen sieht man wirklich nicht viel grün, es gibt zwar immer wieder Bäume an den Straßenrändern, aber öffentliche Gärten sind absolute Mangelware. Am Eingang des Parks, als wir uns Karten für ein Konzert, welches an diesem Abend im Park stattfinden würde, kaufen wollten, wurde einem wieder deutlich, dass man sich in einem anderen Kulturkreis bewegt, da sogar die Schlangen die für Karten anstanden aufgeteilt waren, eine Schlange für die Frauen, eine für die Männer. Wenn man den Park heutzutage betritt wird man sich kaum vorstellen können, dass es sich um eine ehemalige Mülldeponie handelt die der Aga-Khan Trust in diesen sauberen und grünen Park umgewandelt hat und der heute beliebter Treffpunkt für die Kairoer ist. Nachdem wir im Restaurant Citadel View mitten im Park etwas getrunken hatten ging es in Richtung Bühne. Die Künstler sangen zwar alle auf Arabisch, so dass ich absolut nichts verstand, aber es war sehr interessant zu sehen, dass es auch ein anderes Ägypten gibt. Ein Ägypten der jungen Leute die tanzen und sich für Musik interessieren, die mit ihren modernen Handys das Konzert filmen, die glücklich und ausgelassen sind, alles komplett ohne Alkohol, und die so gar nicht dem Bild entsprechen, dass man vielleicht zunächst im Kopf hat wenn man an islamisch-konservative Länder denkt. Ich bin mir sehr sicher, dass viele dieser jungen Menschen nur wenige Wochen später maßgeblich an den radikalen Veränderungen im Land beteiligt gewesen sind und sich für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte einsetzten.

Felsenkirche/ 18. 12. 10
Am Samstag den 18. Dezember fuhren wir mit einer Freundin von Hanna zu einem koptischen Viertel am Rande Kairos, dass auch unter dem Namen ‚Garbage City’, die Müllstadt, bekannt ist da ihre Bewohner vom sammeln, sortieren und wiederverkaufen des Mülls aus Kairo leben. Sogar unser Taxifahrer sagte, er sei noch nie in diesem Viertel unterwegs gewesen, dass er dorthin drei Ausländer bringen sollte dürfte ihn noch mehr verwundert haben. Unser erstes Ziel war ein Hügel, auf dem sich mehrere koptische Kirchen befanden die in den Fels gehauen worden waren. Am Anfang dieses Komplexes begrüßte uns ein Guide, ein junger Ägypter, der uns in fließendem Englisch viel zu der Geschichte und den Eigenheiten des Ortes erklärte. Nur eine kleine Minderheit der Ägypter, etwa 10 Prozent, sind Christen, davon die absolute Mehrheit Kopten. In einem muslimisch geprägten Land hat es diese Minderheit nicht einfach, oft genug werden die Christen diskriminiert. Wie der Anschlag vom 1. Januar 2011 gegen eine Kirche in Alexandria zeigt, gibt es auch gewaltbereite Gruppen die den Kopten das Leben schwer machen. Die Kirchen waren wirklich beeindrucken, die kleinste war in den Fels gehauen und wirkte ein bisschen wie eine Höhle mit Teppichen ausgelegt. Einen Vorteil hat dies ganz sicher, wenn Kairo unter der oft enormen Hitze leidet ist es in diesen Felsenkirchen immer angenehm kühl. Auch die größte der drei Kirchen lag in einer, diesmal natürlichen Höhle, und bot bis zu 10.000 Menschen Platz.

'Garbage City'
Nachdem wir den abgeriegelten Komplex der Kirchen verlassen hatten, ging es mit einem ägyptischen Guide und zwei Amerikanern die sich uns angeschlossen hatten, in das eigentliche Garbage City. Die Lebensumstände der Kairoer Müllsammler, der Zabbalin, haben sich dank einiger Entwicklungsprojekte wohl in den letzten Jahren etwas verbessert, für westliche Augen (und nicht nur für die) sind die Lebensbedingungen jedoch immer noch katastrophal. Wir besuchten unter anderem eine Montessori-Schule und uns wurde eine Solaranlage auf einem Hausdach gezeigt, die zum größten Teil von den Menschen selbst gemacht worden war. Die Menschen die dort leben vollbringen Beachtliches: Sie fungieren schon seit Jahrzehnten als wichtigste Müllabfuhr der Millionenstadt und sammeln täglich mehr als 4500 Tonnen Abfall. Diesen recyceln sie zu mehr als achtzig Prozent, alles von Hand. Dies ist eine Recyclingquote die nicht einmal New York erreicht, trotz moderner Entsorgungsunternehem. Das beeindruckendste wenn man durch das Viertel geht ist aber die Würde der Menschen, die sie sich trotz ihrer Umgebung und harter Arbeit erhalten haben. Die Bewohner tragen ihr Schicksal mit erstaunlicher Größe, sie wirken freundlich und interessiert und sind in keiner Weise aufdringlich. Ich bin mir sicher, auch wenn es sich nicht um eine typische Touristendestination handelt, es könnte den Menschen dort sinnvoll geholfen werden, wenn mehr Touristen von den Führungen durch das Viertel erfahren würden, denn unsere Guides waren wirklich überaus engagiert, hilfsbereit und freundlich. Es war in jedem Fall eine beeindruckende Erfahrung, nach der man vielleicht auch mehr wertschätzt, was man in unserer Wohlstandsgesellschaft für selbstverständlich hält.
Innenstadt Kairo
Am selben Abend waren wir noch, mit Freunden von Hanna, im historischen Teil Kairos. Die Basare sind schier endlos, und es gibt Straßen, die strikt nach Themengebieten geordnet sind in denen es dann auch nur zu einem bestimmten Gebiet etwas zu kaufen gibt, z.B. die Hochzeitststraße die alles bietet, was man für einen solchen Anlass eben braucht. Was das orientalische Flair noch unterstreicht und daher nicht verpasst werden sollte ist, einen Tee in einem klassischen Teehaus zu sich zu nehmen. Der ägyptische Tee erinnert zwar oft eher an Zuckerwasser mit Teegeschmack aber es gehört irgendwie dazu.

Das Ägyptische Museum
Am nächsten Tag ging es für mich nach Dahab ans Rote Meer auf dem Sinai, doch von dieser Episode werde ich wann anders berichten. Bevor ich allerdings per Bus dorthin fahren konnte, hatte ich noch viel Zeit und so entschied ich mich, noch schnell das Ägyptische Museum zu besuchen. Um es gleich vorweg zu sagen: Ich mache mir nicht besonders viel aus Museen und gehöre eher der Spezies der Kulturbanausen an, aber der Besuch passte eben gut in den Zeitplan. Das Ägyptische Museum ist wirklich riesig, mit einer unüberschaubaren Anzahl an Exponaten, Fans des alten Ägyptens sollten vorher ihren Herzschrittmacher auf korrekte Funktion hin überprüfen. Viele Dinge sehen jedoch fast gleich aus, tausende von Sphinx in verschiedensten Größen, dennoch war auch ich beeindruckt von der Kunstfertigkeit der alten Ägypter. Als ich schließlich das Museum, übrigens direkt am mittlerweile so berühmte gewordenen Tahrir-Square gelegen, verließ, wurde ich Zeuge, wie viel Angst die ägyptischen Politiker vor ihrem eigenen Volk hatten. Die Straße die zum Nil führt war mir schon auf dem Weg zum Museum aufgefallen, da wirklich alle drei Meter ein Polizist stand, auf beiden Straßenseiten. Als ich schließlich wieder zur Straße wollte um mit einem Taxi zum Busbahnhof zurückzukehren wurde niemand mehr durchgelassen. Wenn ranghohe ägyptische Politiker oder Militärs von A nach B mussten, änderte sich das Straßenbild Kairos drastisch. Die sonst so lauten und überfüllten Straßen, auf denen noch bei meiner Ankunft am Museum die Hölle los gewesen war, wurden kurzerhand gesperrt, alle drei Meter stand ein Polizist und das kilometerweit. Bis die Elite schließlich in einer Kolonne zahlreicher Motorräder und schwarzer Limousinen vorbeigefahren war, herrschte kurz eine gespenstige Totenstille auf den Straßen, Mubarak und seine Riege fürchteten ihr eigenes Volk schon damals anscheinend zutiefst, nicht zu Unrecht wie sich kurze Zeit später auf eben jener Straße zum Tahrir-Platz zeigen sollte.
Die gesperrte Straße...
Koptisches Viertel/ 22. 12. 10
Am Morgen des 22. Dezember war ich jedenfalls wieder zurück in Kairo und schaute mir am Vormittag das koptische Viertel Kairos an. Anders als in Garbage City ist das koptische Viertel ein klassischer Touristenhotspot, das hat den Nachteil, dass man für einige Besichtigungen Eintritt zahlen muss. Die Dichte an Kirchen auf so engem Raum ist wirklich beeindruckend, und hier zeigte auch die ägyptische Polizei deutlich Präsenz, nicht nur an den Zufahrtstraßen, die am Ende abgeriegelt waren, sondern auch vor den Kirchen selbst standen viele gelangweilte Uniformierte. Ich genoss das grün um die Kirchenanlagen herum und die ruhige Atmosphäre der Anlagen. Am Abend machte ich mit Hanna noch eine Felukka-Fahrt auf dem Nil, etwas das ebenfalls nicht fehlen darf wenn man in Kairo ist. Alles in allem war es eine sehr schöne und wirklich spannende Zeit die ich in Ägypten verbrachte. Es ist eine ganz andere Welt als die, die man von Deutschland gewohnt ist, aber genau das macht auch den Reiz der Erfahrung aus.
Der längste Fluss der Welt

Mittwoch, 13. April 2011

Wanderglück in den Abruzzen

Ready to hike/ 15. 03. 2011
Von den Abruzzen hatte ich bis zu meiner Italienreise im Frühjahr dieses Jahres noch nicht viel gehört, aber mir war klar, dass es sich um eine gebirgige und dünn besiedelte Region in Mittelitalien handelt. Weitere Recherchen machten mir die Region schmackhaft und so entschied ich mich, auf meiner Italienreise einen Stopp in dem Gebirge einzulegen. Die Abruzzen sind ein wildes und relativ unzugängliches Terrain, die Gegend ist hügelig bis bergig und die Gebirgszüge steigen bis auf 3000 Meter an. Die schier endlosen Bergwälder durchstreifen Hirsche, Gämsen und sogar Wölfe und Bären die regelmäßig für Aufsehen sorgen, wenn sie Schafe oder Ziegen auf den Bergweiden reißen. Schon die Anfahrt zu den Bergen per Zug wurde eine kleine Herausforderung wie sich zeigen sollte.

Während der Zugfahrt
Ich brach am Morgen des 14. März von Perugia aus auf, in der festen Absicht an einem Tag bis nach Sulmona, einer Kleinstadt im Süden der Abruzzen zu gelangen. Auf der Karte sah die Distanz nicht allzu weit aus, und so bestieg ich optimistisch den Zug, der mich von Perugia zunächst nach Terni brachte, welches ganz am Rande des Massivs liegt. Dort musste ich erstmal 1 ½ Stunden auf meinen Anschlusszug nach L’Aquila warten, die Hauptstadt der Abruzzen, die auch im Zuge des Erdbebens vom 06. April 2009 dem ein oder anderen noch in Erinnerung sein dürfte. Das Beben richtete schwere Schäden an und forderte 308 Menschenleben. Nach langer Wartezeit kam dann endlich der Zug nach L’Aquila, der sich als äußerst langsam erwies, da er wirklich auch im kleinsten Kaff hielt. 

Sulmona am Abend
Die Fahrt war dennoch recht kurzweilig, denn es ging nun immer tiefer in die Abruzzen hinein. Immer öfter führte der Weg durch Tunnel und über Brücken, es ging durch Täler die das erste grün des Frühlings zeigten und am Horizont tauchten die ersten wirklich hohen Berge auf. Wer oft in den Alpen wandert, tendiert dazu sich alle anderen Gebirge als klein vorzustellen, doch das trifft auf die Abruzzen sicherlich nicht zu, die Gebirgszüge waren viel höher als ich dachte, oben lag noch dick Schnee. Der Zug fuhr auch auf eine kleine Hochebene, immer wieder wechselte das Wetter, in einem Moment war es sonnig und im nächsten Moment verdunkelten Wolken den Himmel und nahmen einem die Sicht. Am Nachmittag erreichte der Zug dann endlich L’Aquila, manche zerstörten Häuser an der Bahnstrecke, die weder renoviert noch abgerissen wurden, vermitteln einem auch noch zwei Jahre nach dem Erdbeben einen Eindruck der Zerstörungskraft eines solchen Naturereignisses, man kann sich bisweilen fühlen wie in einem Kriegsgebiet. L’Aquila selbst liegt umgeben von hohen schneebedeckten Bergen, doch die Stadt war an jenem Tag nicht mein Ziel, ich wollte weiter nach Sulmona. Auch der Zug nach Sulmona, den ich nach kurzer Wartezeit bestieg war eher von der gemächlichen Sorte und so kam ich erst gegen 18 Uhr in Sulmona an. Dort verpasste ich dann prompt den Bus, der einen von der Bahnstation ins Stadtzentrum bringt, also musste ich wohl oder übel, ausgestattet mit einer ungenauen Karte und Wegbeschreibungen der Einheimischen, die ich kaum verstand, laufen.

Marktplatz von Sulmona
Immerhin schien sich nach einem Tag der Sonne, Wolken und immer wieder Schauer gebracht hatte das Wetter zu bessern, als ich in der Dämmerung die große Einfallstraße ins Zentrum hinauflief, umgeben von einzelnen Häusern und Schrebergärten, in der Luft lag ein Hauch von Frühling und die Vögel zwitscherten um dies zu unterstreichen. Und so kam es, dass ich nach über einer halben Stunde Fußmarsch einigermaßen entnervt die Innenstadt der nur etwa 25.000 Einwohner zählenden Gemeinde erreichte. Auch hatte ich keine Unterkunft gebucht, da ich mir stets die Option offenhalten will, einfach irgendwo zu bleiben, wenn es mir gefällt. Diese Taktik hat offensichtliche Vorteile, aber auch Nachteile, zum Beispiel wenn man nach einem langen Tag und Fußmarsch einfach nur einen Schlafplatz sucht, ohne sich in der fremden Umgebung auch nur einen Meter auszukennen. Fremdenverkehrsämter hatten natürlich auch nicht mehr geöffnet, und so entschloss ich mich, das erstbeste Hotel zu nehmen, welches mir begegnen würde. Ich landete in einem Drei-Sterne Hotel im Zentrum und blechte ganze 50 Euro für die Nacht. Nachdem ich dies zähneknirschend bezahlt hatte suchte ich zunächst mal etwas zu essen und schaute mich noch etwas im historischen Zentrum um, übrigens eines der wenigen Wörter die ich absolut sicher beherrsche: Fragend gucken und ‚centro storico’ sagen und der Italiener legt los mit einer wild gestikulierenden Beschreibung, der man auch wenn man der Sprache kaum mächtig ist zumindest meist die grobe Richtung entnehmen kann.

Das Aquädukt von Sulmona
Sulmona ist bekannt für ‚confetti’. Nein, nicht das Papierzeugs das man bei uns an Karneval in die Luft schmeißt, es handelt sich hierbei um Drops die außen eine Zuckerglasur mit verschiedensten Geschmacksrichtungen haben, innen ist Schokolade. Auch wenn ich sonst selten kulinarische Köstlichkeiten mit Lokalkolorit teste, das Zeug ist wirklich gut wie ich feststellte. Nach einer entspannten Nacht in meiner bourgeoisen 50 Euro Suite (zum Vergleich: in der Jugendherberge in Perugia zahlte ich nur 15 Euro die Nacht, Mehrbettzimmer zwar aber trotzdem) und einem ausführlichen Frühstück, das im Preis inbegriffen war, fand ich mich an einem sonnigen und milden Frühlingstag auf den Straßen Sulmonas wieder, die Wolken hatten sich über Nacht endgültig verzogen. Nach einer kurzen Besichtigung des Stadtzentrums bei Tageslicht, zu sehen gibt es u.a. ein Aquädukt aus dem Mittelalter, zog es mich höher hinauf in die Berge, ich wollte endlich an einem solch wunderbaren Tag in die ‚Wildnis’, die schneebedeckten Berge lockten hinter dem Ort.

In Scanno
Und so bestieg ich den Bus nach Scanno, einem Kaff in den Bergen auf circa 1000 Meter Höhe. Schon die einstündige Fahrt dorthin ist ein Erlebnis, es geht an steilen Schluchten vorbei immer höher hinauf, ab und zu passiert man ein paar kleine Dörfer die sich an den Fels klammern. Die Sonne strahlte von einem wolkenlosen Himmel und am Straßenrand lagen noch Schneereste, die letzten Überbleibsel eines kalten Winters. Als ich schließlich als einziger Tourist  am zentralen Platz vor der Kirche in Scanno dem Bus entstieg wurde ich von den Einheimischen zunächst neugierig beäugt, die vor dem Kirchplatz die Frühlinssonne genossen und sich in typisch italienischer Manier die Geselligkeit schätzend über Neuigkeiten austauschten. Scanno ist im Sommer ein beliebter Ort für Touristen, die den Ort wegen seinem mittealterlichen Kern und den vielen alten Häusern besuchen. Zudem ist er Ausgangspunkt für Wanderungen und direkt dahinter beginnt der Parco Nazionale D’Abruzzo Lazio E Molise, der kleinste der vier Nationalparks in den Abruzzen. Mitte März jedoch wirkt der Ort eher verlassen und die Einheimischen sind noch weitgehend unter sich, ich hatte kein Problem ein günstiges Quartier zu finden. Direkt danach entschloss ich mich dazu, den noch jungen Tag zu nutzen um in die Berge hinter dem Dorf zu wandern, auch hier oben war es noch sonnig und mild, wer weiß wie lange das Wetter halten würde. Wenn ich etwas entdeckt habe, dass ich unbedingt sehen will, kann ich keine Minute ruhig sitzen bis ich am Ziel bin, soviel sei gesagt. Deshalb stopfte ich in meinem Quartier alles was man so für eine Wanderung braucht von meinem großen Rucksack in den kleinen und weg war ich auch schon wieder. Direkt hinter dem Dorf erkannte ich einen Hang der vielversprechend aussah, dort würde ich hinaufklettern bis ich zum Schnee kam, so zumindest mein Plan.

Die bäuerliche Welt der Abruzzen
Mein Weg führte zunächst hinter dem Ortsrand etwas bergab und ich passierte mehere Bauernhöfe. Diese Region der Abruzzen ist wirklich noch sehr ursprünglich, man könnte sich auch ohne große Probleme vorstellen, dass es dort ein Jahrhundert früher fast gleich aussah. Überall roch es typisch nach Bauernhof und Hühner und Pferde sah ich oft, aus den Ställen hörte man Kühe und neugierig wie ich bin näherte ich mich einem Stall, an dem die Tür nur unten zu war, oben konnte man hineinschauen. Vom grellen Sonnenlicht draußen geblendet erkannte ich zunächst gar nichts in dem dusteren Stall, bis auf einmal ein dunkler Schatten mit großer Geschwindikeit auf mich zukam und wild grunzte. Erschrocken sprang ich zurück, und die riesige Sau, die mir, getrennt durch eine niedrige Stalltür gegenüberstand hatte anscheinend auch ihren anfänglichen Mut verloren und wich etwas zurück, mich weiterhin interessiert musternd, vielleicht hatte sie mich für den Bauern gehalten.

Der Fluss
Nach dieser tierischen Begegnung erreichte ich ein Tal, dem ich einige Zeit nach oben folgte. Die Hänge dieser Berge sind mit niedrigen Laubbäumen bestanden, die um diese frühe Jahreszeit noch keine Blätter trugen, außerdem sind sie sehr steinig. Nach einiger Zeit am Boden des Tales gelangte ich zu meinem auserkorenen Berg. Wollte ich dort hinauf, und das wollte ich unbedingt, musste ich zunächst den Weg verlassen und einen kleinen Fluss überqueren, der friedlich zu meiner Rechten dahingurgelte. Ich hatte schon die ganze Zeit nach einem geeigneten Übergang gesucht, doch jedes Mal wenn ich an eine Stelle kam die mir von der Ferne geeignet schien über den Fluss zu springen schien mir die Distanz bei eingehenderer Betrachtung doch zu weit. Ich war nie besonders gut im Weitsprung und hatte nicht die Absicht unfreiwillig ein Bad im eiskalten Wasser zu nehmen. Nach geraumer Zeit fand ich endlich eine Stelle, an der man zunächst bis auf eine kleine Sandbank, von dort auf einen Felsen und von diesem zum anderen Ufer springen konnte. Ohne diese Zwischenstationen wäre der Fluss zu breit gewesen um drüber zu kommen, zum durchwaten hatte ich auch keine Lust. Schließlich schaffte ich es trockenenen Fußes auf die andere Seite, versuchte mir die Stelle für den Rückweg einzuprägen und dann stand der schwierigste Teil bevor, der steile Aufstieg.

Es wird Frühling...
Dieser Aufstieg, das war mir schon nach den ersten Metern klar, würde wirklich anstrengend werden. Wege haben meist den Vorteil, dass sie in einem vernüftigen Winkel nach oben führen, wenn es zu steil wird verlaufen sie in Serpentinen, so kann man vergleichsweise entspannt Höhenmeter gewinnen. Doch auf den Berg auf den ich wollte führte nunmal kein Weg und so ging es direttisima direkt den steilen Berg hinauf. Und wie steil der war! Auch der Untergund schien etwas gegen mich zu haben, das lose Geröll, dass den Hang an vielen Stellen bedeckte rutschte sofort nach unten wenn ich drauftrat und so lief ich teilweise auf allen vieren den Berg hinauf. Ich bin mir sicher, jeder der mich bei diesem Unterfangen aus der Ferne beobachtet hätte, hätte ersthafte Zweifel an meiner geistigen Zurechnungsfähigkeit gehabt und auch ich fragte mich, warum ich ausgerechnet auf diesen verflucht steilen Berg wollte. Aber es war zu spät, je höher ich kam umso weniger Sinn hätte es gamacht umzudrehen, außerdem wurde mit jedem Meter nach oben die Aussicht besser, nachdem der Hang unten im Schatten lag sah ich weiter oben zudem die Sonne wieder. An vielen Stellen reckten Krokusse ihre Blüten dem Licht entgegen und der unbelaubte Wald erlaubte einen ungestörten Blick hinab und auf die umgebende Bergwelt, nach einiger Zeit sah ich auch in einiger Entfernung Scanno. Es ging immer höher hinauf und irgendwann behinderte der mehr werdende Schnee den Aufstieg. Am Anfang genügte es noch einfach auf oft besonnte und daher schneefreie Flecken auszuweichen oder mich nah unter den Bäumen zu halten wo ebenfalls kaum Schnee lag. Doch je höher ich gelangte umso tiefer wurde der Schnee, und mit meinen Halbschuhen hatte ich keinerlei Halt in so steilem Gelände wenn ich bis Knöchel oder teilweise bis zum Knie im Schnee stand. Zudem waren meine Halbschuhe aus Rauhleder, wirkten eher wie ein Schwamm und zogen das Wasser des nassen und tauenden Schnees an, ich habe mich schon oft gefragt wer solche Schuhe erfindet.

Der Schnee wird mehr...
Guter Ausblick!
Nach einiger Zeit und nassen Füßen beschloss ich, auf einer Höhe von etwa 1600 Metern, das ist zumindest meine grobe Schätzung, abzubrechen und setzte mich an einen schneefreien Fleck in die warme Nachmittagssonne, legte meine Schuhe zum trocknen aus und genoß die grandiose Aussicht von meinem Platz mitten im Nirgendwo. Nicht nur Scanno war zu sehen, auch die wirklich großen Berge die überall erkennbar waren und noch tief verschneit dalagen waren beeindruckend, das gute Wetter tat ein übriges um mein Wanderglück perfekt zu machen. Nach einer guten halben Stunde und mit halbwegs getrockneten Schuhen machte ich mich an den Abstieg, der deutlich schneller ging, auch wenn man auf dem losen Geröll höllisch aufpassen musste. Den Fluss fand ich ohne Probleme wieder, und auch die Stelle an der ich ihn überquert hatte. Rückwärts war es dennoch kompliziert an der selben Stelle wieder auf die andere Seite zu gelangen, ich hätte mit großer Zielsicherheit genau euf den Felsen mitten im Fluss springen müssen und von dort wieder auf die Sandbank. Da ich aber unbedingt Anlauf gebraucht hätte um den Felsen zu erreichen und somit nicht wirklich zielgenau hätte draufspringen können, auf dem Felsen hätte ich dann zudem abrupt abbremsen müssen, wäre ich wohl mit ziehmlicher Sicherheit am Ende im Wasser gelandet. Um dem Konjunktiv-Marathon hier ein Ende zu setzten, aus genannten Gründen entschied ich mich gegen den Versuch, der Übergang war eine Einbahnstraße. Zunächst lief ich ein Stück den Fluss hinab, fand aber nirgends einen Punkt an dem das Überqueren möglich gewesem wäre. Also lief ich alles wieder hinauf und suchte notgedrungen eine möglichst breite aber flache Stelle, an der ich durch das Wasser watend auf die andere Seite gelangen konnte. Nach einigem Suchen fand ich eine gute Stelle, zog Schuhe und Socken auf, schnappte mir einen Stock um nicht auf den glitschigen Steinen auszurutschen und wagte mich in das eiskalte Gebirgswasser. Das durchwaten an sich verlief problemlos und auch meine Füße meldeten sich erst als ich am anderen Ufer stand, dort schmerzten sie aufgrund des kalten Wassers. Nach kurzem trocknen lassen der Füße folgte ich dem Tal dann wieder bergab und erreichte kurz darauf wieder Scanno.
Rechts unten liegt Scanno
Scanno bei Nacht
Am selben Abend schaute ich mich auch nochmal im Dorf um, die Häuser sind wirklich alt und malerisch, es könnte ohne große Arbeit Drehort eines historischen Films werden. Nach diesem wirklich ereignisreichen Tag, an dem ich kaum eine Minute stillstand kroch ich schließlich ins Bett mit dem Vorhaben noch etwas länger zu bleiben um die Bergwelt genauer zu erkunden. Am nächsten Morgen wurde ich jedoch schon vom Sturm, der die Läden wackeln ließ und den Regen gegen mein Fenster peitschte, geweckt. Über Nacht war das Wetter erneut vollkommen umgeschlagen, die Wolken hingen tief über den Bergen, es stürmte und regnete und der warme und sonnige Frühlingstag vom Vortag schien wie ein ferner Traum. Unter diesen Bedingungen ist in einem solchen Kaff wenig anzufangen, bei dem Sauwetter hatte ich jedenfalls keine Lust auch noch durch die Berge zu kraxeln. Und so entschloss ich mich, schnellstens meine Sachen zusammenzupacken und weiterzureisen, um kurz vor neun zahlte ich schließlich in aller Eile mein Zimmer und fünf Minuten darauf saß ich wieder im Bus um weiterzureisen. Trotzdem, die Zeit in den Abruzzen wird mir in bester Erinnerung bleiben, die Bergwelt war fantastisch und irgendwann muss ich zurückkehren um sie mir nochmal genauer anzusehen und mehr davon zu entdecken!