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Montag, 11. März 2013

On the ground: Sabra & Shatila Camps

Auf dem Weg ins Camp...
Am Samstag habe ich mit einem meiner Kurse, der sich mit den „Guerres du Liban de 1975 à 1990“ beschäftigt, eine Exkursion zu den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra & Shatila gemacht, die im Süden am Rande von Beirut liegen. Während des Bürgerkriegs (der aufgrund nicht nur nationaler sondern auch regionaler Beteiligung von Syrien und Israel eigentlich mehr als nur ein Bürgerkrieg war, laut der offiziellen Definition die wir im Kurs erarbeitet haben ein „conflit armé complexe“) fanden auch dort heftige Kämpfe statt, traurige Berühmtheit erlangte das Camp aber durch das Massaker bei welchem 1982 zwischen (je nach Quellen) 500 bis 3000 zumeist zivile Opfer erschossen wurden von rechten christlichen Phalange-Milizen. Durch verschiedene Faktoren war der Libanon zuvor zum Hauptoperationsgebiet des palästinensischen Widerstands (dieser Begriff ist der Oberbegriff für die bewaffneten palästinensischen Organisationen, neben der bekannten PLO gibt/ gab es zahlreiche weitere Organisationen) geworden, was dem Land zunehmend Instabilität und Probleme brachte.

Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von 1982

Gedenkstätte: Eine Steintafel, ein paar vertrocknete Kränze, etwas Grün...

Nach dem Sechstagekrieg von 1967 hatte Israel unter anderem den Sinai besetzt, sodass Ägypten als Operationsgebiet des palästinensischen Widerstands quasi ausfiel, da das Ziel dieser verschiedenen palästinensischen Gruppen bewaffneter Widerstand und Terror gegen Israel war. Da der Sinai aber besetzt war, war die Distanz zu Israel einfach zu groß um es für solche Aktionen zu erreichen. In Syrien sah die Situation ganz ähnlich aus da die Golanhöhen besetzt waren, und auch die Strategie im Westjordanland eine Basis für den bewaffneten Widerstand aufzubauen scheiterte, da die israelischen Sicherheitskräfte relativ erfolgreich dagegen vorgingen. So konzentrierte sich der Widerstand von exterritorialem Gebiet aus weitgehend auf Jordanien. Trotz aller öffentlich verlautbarter Solidaritätsbekundungen arabischer Länder mit den Palästinensern war aber kein Land besonders glücklich über palästinensische Kämpfer im eigenen Land, so war es auch in Jordanien. Dort sah man aufgrund der mehrere tausend Mann starken palästinensischen Einheiten nicht nur die Souveränität des eigenen Staates gefährdet, die nach 1967 stark zunehmenden bewaffneten/ terroristischen Aktivitäten des palästinensischen Widerstands führten auch zu Konflikten mit dem Nachbarland Israel. Die Kämpfer passierten die Grenze um Angriffe in Israel oder der Westbank auszuführen und zogen sich dann wieder auf jordanisches Gebiet zurück. Das jedoch provozierte Israel zu Gegenmaßnahmen bei denen es mehrmals auf jordanisches Gebiet vorrückte um den palästinensischen Widerstand und dessen Kämpfer oder vermeintliche Kämpfer anzugreifen, wobei auch immer wieder Zivilisten getötet wurden. Im sogenannten „Schwarzen September“ 1970 entschied sich die jordanische Führung schließlich zum Handeln und das jordanische Militär vertrieb die bewaffneten Kräfte der Palästinenser aus dem  Land, die daraufhin nahezu geschlossen in den Libanon gingen, was dort allerdings zu neuen Problemen führte.

Der Beginn des Camps...
Der Libanon hatte sich traditionell versucht aus den Konflikten im Nahen Osten so gut es ging herauszuhalten indem er zwar immer seine Solidarität zu den arabischen Staaten und den Palästinensern unterstrich, aber als ein kleiner Staat nie auf militärische Stärke setzte und z.B. keine Wehrpflicht kannte (und kennt) und eine sehr kleine Armee hat/te. In diesem Umfeld wurden die zahlreichen palästinensischen Kämpfer von der einheimischen Bevölkerung zunehmend als Bedrohung empfunden. Außerdem hatten viele Bürger den Eindruck, dass mit den palästinensischen Camps ein Staat im Staate entstanden war, ein Eindruck der nicht weit an der Realität vorbei ging. Denn tatsächlich waren die Camps exterritoriales Gebiet, d.h. in einem Camp wie Sabra und Shatila war man nicht im Libanon, auch wenn außenherum alles libanesisches Gebiet war. Die Camps verwalteten sich selbst und wurden zum idealen Refugium für Waffen und Kämpfer, die libanesischen Sicherheitskräfte hatten dort nichts zu sagen und durften die Camps nicht betreten. Während des Bürgerkriegs eskalierten dann schließlich die Spannungen die auch zum Tod zahlreicher Zivilisten führten. Darüber könnte man ganze Bücher schreiben (was auch getan wurde), aber ich werde nun mal einen Schwenk in die Gegenwart machen, bevor auch der letzte Leser eingeschlafen ist.

Verewigtes Gedenken an die "Helden, Freiheitskämpfer und Märtyrer"
Wenn man sich die Situation in den Camps näher anschaut, fällt es einem nicht allzu schwer nachzuvollziehen, warum sie zu einem idealen Nährboden für Hass und Gewalt wurden. Zunächst mal ist der zivile Status der Palästinenser in den Camps sehr problematisch. Sie besitzen nicht die libanesische Staatsbürgerschaft und dürfen viele Berufe im Libanon nicht ausüben, die einzigen zugelassenen Tätigkeiten sind blue collar jobs, d.h. alles was mit physischer Arbeit verbunden ist, Anstreicher, Bauarbeiter, Landwirtschaftshelfer, etc. Als Arzt oder Anwalt können sie hier, so sie denn eine entsprechende Qualifikation haben, was ohnehin eher die Ausnahme ist, nicht tätig sein, weshalb viele die das Glück hatten eine gute Ausbildung bekommen zu haben nun im Ausland tätig sind und ihren Familien Geld zur Unterstützung schicken. Zudem dürfen die Menschen auch aus den Camps, die mehr als fünf Jahrzehnte nach ihrer Entstehung eher wie ärmliche Wohnviertel wirken, im Normalfall nicht wegziehen, d.h. viele sterben im selben Camp in dem sie geboren wurden. Die Perspektiven sind oft sehr frustrierend, Chancen das Camp zu verlassen, eine andere Staatsbürgerschaft zu bekommen, einen normalen Job und eine normale Wohnung zu finden, kurz gesagt einfach ein normales und menschenwürdiges Leben zu führen bleibt vielen für immer verwehrt. Die Palästinenser in diesem wie in anderen Camps sind quasi staatenlos, denn einen palästinensischen Staat gibt es nicht und die meisten können auch nicht in ihre alte Heimat zurück, so es denn ein zurück wäre, denn die meisten sind im Libanon geboren und waren nie in der Westbank. Das Camp in dem wir waren hat zudem die höchste Einwohnerdichte weltweit, pro Quadratkilometer leben 18.000 Menschen! Ich dachte bei dieser Zahl zunächst, dass das nicht möglich ist und ich mich verhört habe, aber auch auf Nachfragen hin blieb es bei dieser horrenden Zahl. 

Nicht viel Tageslicht und ein Gewirr an Stromkablen: Die Hauptstraße" des Camps.
Zudem fehlt es quasi an allem, man läuft im Camp durch enge Gassen, die Häuser sind dicht aneinander gebaut um keinen Platz zu verschwenden, unten in den Gassen ist es immer schattig. Die Camps waren für viel weniger Menschen ausgelegt doch die Geburtenrate ist hoch und nach mittlerweile mehreren Generationen steigt die Zahl der Menschen stetig, die Größe des Camps aber bleibt gleich. Zwischen den Häusern hängt ein Wirrwarr an Stromkabeln, bei dem man sich wundert, dass das Ganze überhaupt irgendwie funktioniert. Damit sich die Menschen dort aber nicht zu sehr zu Hause fühlen gibt es mehrere Stunden am Tag keinen Strom, nichts ungewöhnliches für Beirut generell, aber dort scheint die Situation noch extremer und zudem politisch gewollt zu sein. Das Wasser das aus den Leitungen kommt hat einen extrem hohen Salzgehalt und die Menschen leben dicht gedrängt aneinander. Es ist zwar nicht so, dass die Menschen das Camp nicht verlassen können, aber wegziehen dürfen sie eben im Normalfall nicht. 

Und täglich grüßt... Jasser Arafat, überall präsent im Camp.

Diese Umstände in Betracht ziehend ist es kein Wunder, dass viele die nichts zu verlieren haben sich für den Kampf und Terror gegen Israel entscheiden. Das Konterfei von Jasser Arafat ist allgegenwärtig im Camp und auch die „Märtyrer“ die im Kampf oder bei Selbstmordattentaten umgekommen sind, sind überall in Form von Postern und Bildern verewigt. Dabei war es teilweise schwierig Bilder zu machen, da wir immer Aufpasser dabei hatten und es nur an manchen Stellen erlaubt war zu fotografieren, an anderen nicht. Die allgemeine Perspektivlosigkeit derer die nichts zu verlieren haben macht sie dann zu leichten Opfern für Extremisten. Dabei sollte man allerdings nicht aus dem Auge verlieren, dass es sich um eine kleine Minderheit handelt die sich für solche Aktionen entscheidet, der große Rest versucht einfach irgendwie zu Überleben. Vielleicht gibt es auch doch noch in dem ein oder anderen die Hoffnung, dass sich die Situation zum Besseren wendet, auch wenn dazu nach den Rückschlägen der letzten Jahrzehnte eigentlich wenig Anlass besteht. Auch die derzeitige Situation bleibt nach wie vor angespannt, erst am vergangenen Montag gab es dort bei Auseinandersetzungen Tote. Es ist auch nicht ganz einfach überhaupt Zutritt zu bekommen und wie immer bedeutet das sich mit einem Haufen Bürokratie herumzuschlagen, bis man alle nötigen Genehmigungen zusammen hat. Zu unserem Glück hat sich unsere Dozentin um das Ganze gekümmert, die auch ständig von den Verantwortlichen angerufen wurde, die wissen wollten wo im Camp genau wir uns befinden. Das dient zum einen unserer Sicherheit, aber so eine gewisse Überwachung stellt es schon auch dar. Zudem hatten wir einen Vertreter einer Menschenrechtsorganisation (Palestinian Human Rights Organization) die sich für die Rechte der Palästinenser im Libanon einsetzt dabei, sowie einen lokalen Guide. 

Am Rande des Camps: Die Spuren des Krieges...

Unter anderem besuchten wir die Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von 1982, die wenig mehr ist als ein freier Platz mit einer Hinweistafel und Plakaten. Zudem waren wir bei der Verwaltung des Camps die sich um Angelegenheiten wie Wasser- und Stromversorgung kümmert. Dabei wurden wir in einen kleinen Raum gelotst, der ein paar durchgesessene Sofas enthielt, und hinter einem Schreibtisch saß bzw. standen unter dem obligatorischen Bild von Jasser Arafat drei der „Chefs“ der Verwaltung und erklärten auf Arabisch einige Dinge, die dann von unserer Dozentin auf Französisch übersetzt wurden. Obwohl kaum alle Teilnehmer in dem Raum Platz fanden handelt es sich für Campverhältnisse um einen großen und repräsentativen Raum, mehr geht auf so wenig Fläche einfach nicht. Typisch libanesisch ist, dass alle rauchten (die Zigaretten scheinen hier sensationell billig zu sein, und auch extrem viele Studenten rauchen, sogar die aus Europa, fast alle Franzosen dich ich hier kenne rauchen, ich war echt erstaunt), was man nachher auch am Geruch der Klammotten merkt und in der Ecke lief die ganze Zeit, auch während des „Vortrags“ ein Fernseher auf voller Lautstärke, so als ginge es darum wer wen besser übertönen kann. Es war jedenfalls eine interessante Exkursion, die einem wieder deutlich vor Augen führt, welches Glück man hat in einem reichen Land aufzuwachsen und sich frei bewegen zu können. Zudem ergänzte diese Erfahrung gut die im Kurs in der Theorie behandelten Themen und es ist leichter nachzuvollziehen wie sich bestimmte Konflikte entwickelten.









































Ein paar persönliche administrative Notizen zum Schluss: Am Dienstag habe ich pünktlich nach zwei Wochen meinen permis de séjour annuel abgeholt und war echt erleichtert, dass das alles so gut geklappt hat. Man muss nämlich for whatever reasons während der Bearbeitung auch seinen Pass bei der Sûreté Générale lassen. Diesbezüglich hatte ich schon einige Horrorgeschichten gehört, zum Beispiel von einer Schweizerin die auch an der USJ studiert und nun ihr zweites Semester hier verbringt, deren Pass war sage und schreibe vier Monate bei der SG. Man bekommt zwar so einen grünen Zettel mit Passbild drauf als Ersatz für die Zeit der Bearbeitung, aber dass man damit wirklich reisen könnte glaube ich nicht. Nunja, ich habe jedenfalls meinen Pass wieder, und nun auch meinen permis de séjour, das (verdiente) Glück des Tüchtigen, denn die Prozedur war schon eine echte challenge. Und ich habe nun seit letzter Woche auch einen Studentenausweis der USJ, es war also quasi die Woche der offiziellen Dokumente.

In diesem Sinne, peace aus Beirut!

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