Auf dem Weg ins Camp... |
Am Samstag habe ich mit einem
meiner Kurse, der sich mit den „Guerres du Liban de 1975 à 1990“ beschäftigt,
eine Exkursion zu den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra & Shatila
gemacht, die im Süden am Rande von Beirut liegen. Während des Bürgerkriegs (der
aufgrund nicht nur nationaler sondern auch regionaler Beteiligung von Syrien
und Israel eigentlich mehr als nur ein Bürgerkrieg war, laut der offiziellen
Definition die wir im Kurs erarbeitet haben ein „conflit armé complexe“) fanden
auch dort heftige Kämpfe statt, traurige Berühmtheit erlangte das Camp aber durch
das Massaker bei welchem 1982 zwischen (je nach Quellen) 500 bis 3000 zumeist
zivile Opfer erschossen wurden von rechten christlichen Phalange-Milizen. Durch
verschiedene Faktoren war der Libanon zuvor zum Hauptoperationsgebiet des
palästinensischen Widerstands (dieser Begriff ist der Oberbegriff für die
bewaffneten palästinensischen Organisationen, neben der bekannten PLO gibt/ gab
es zahlreiche weitere Organisationen) geworden, was dem Land zunehmend
Instabilität und Probleme brachte.
Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von 1982 |
Gedenkstätte: Eine Steintafel, ein paar vertrocknete Kränze, etwas Grün... |
Nach dem Sechstagekrieg von 1967
hatte Israel unter anderem den Sinai besetzt, sodass Ägypten als
Operationsgebiet des palästinensischen Widerstands quasi ausfiel, da das Ziel
dieser verschiedenen palästinensischen Gruppen bewaffneter Widerstand und
Terror gegen Israel war. Da der Sinai aber besetzt war, war die Distanz zu
Israel einfach zu groß um es für solche Aktionen zu erreichen. In Syrien sah
die Situation ganz ähnlich aus da die Golanhöhen besetzt waren, und auch die
Strategie im Westjordanland eine Basis für den bewaffneten Widerstand
aufzubauen scheiterte, da die israelischen Sicherheitskräfte relativ
erfolgreich dagegen vorgingen. So konzentrierte sich der Widerstand von
exterritorialem Gebiet aus weitgehend auf Jordanien. Trotz aller öffentlich
verlautbarter Solidaritätsbekundungen arabischer Länder mit den Palästinensern
war aber kein Land besonders glücklich über palästinensische Kämpfer im eigenen
Land, so war es auch in Jordanien. Dort sah man aufgrund der mehrere tausend
Mann starken palästinensischen Einheiten nicht nur die Souveränität des eigenen
Staates gefährdet, die nach 1967 stark zunehmenden bewaffneten/ terroristischen
Aktivitäten des palästinensischen Widerstands führten auch zu Konflikten mit
dem Nachbarland Israel. Die Kämpfer passierten die Grenze um Angriffe in Israel
oder der Westbank auszuführen und zogen sich dann wieder auf jordanisches
Gebiet zurück. Das jedoch provozierte Israel zu Gegenmaßnahmen bei denen es
mehrmals auf jordanisches Gebiet vorrückte um den palästinensischen Widerstand
und dessen Kämpfer oder vermeintliche Kämpfer anzugreifen, wobei auch immer
wieder Zivilisten getötet wurden. Im sogenannten „Schwarzen September“ 1970
entschied sich die jordanische Führung schließlich zum Handeln und das
jordanische Militär vertrieb die bewaffneten Kräfte der Palästinenser aus
dem Land, die daraufhin nahezu
geschlossen in den Libanon gingen, was dort allerdings zu neuen Problemen
führte.
Der Beginn des Camps... |
Der Libanon hatte sich traditionell
versucht aus den Konflikten im Nahen Osten so gut es ging herauszuhalten indem
er zwar immer seine Solidarität zu den arabischen Staaten und den
Palästinensern unterstrich, aber als ein kleiner Staat nie auf militärische
Stärke setzte und z.B. keine Wehrpflicht kannte (und kennt) und eine sehr
kleine Armee hat/te. In diesem Umfeld wurden die zahlreichen palästinensischen
Kämpfer von der einheimischen Bevölkerung zunehmend als Bedrohung empfunden.
Außerdem hatten viele Bürger den Eindruck, dass mit den palästinensischen Camps
ein Staat im Staate entstanden war, ein Eindruck der nicht weit an der Realität
vorbei ging. Denn tatsächlich waren die Camps exterritoriales Gebiet, d.h. in
einem Camp wie Sabra und Shatila war man nicht im Libanon, auch wenn außenherum
alles libanesisches Gebiet war. Die Camps verwalteten sich selbst und wurden
zum idealen Refugium für Waffen und Kämpfer, die libanesischen
Sicherheitskräfte hatten dort nichts zu sagen und durften die Camps nicht
betreten. Während des Bürgerkriegs eskalierten dann schließlich die Spannungen
die auch zum Tod zahlreicher Zivilisten führten. Darüber könnte man ganze
Bücher schreiben (was auch getan wurde), aber ich werde nun mal einen Schwenk
in die Gegenwart machen, bevor auch der letzte Leser eingeschlafen ist.
Verewigtes Gedenken an die "Helden, Freiheitskämpfer und Märtyrer" |
Wenn man sich die Situation in
den Camps näher anschaut, fällt es einem nicht allzu schwer nachzuvollziehen,
warum sie zu einem idealen Nährboden für Hass und Gewalt wurden. Zunächst mal
ist der zivile Status der Palästinenser in den Camps sehr problematisch. Sie
besitzen nicht die libanesische Staatsbürgerschaft und dürfen viele Berufe im
Libanon nicht ausüben, die einzigen zugelassenen Tätigkeiten sind blue collar
jobs, d.h. alles was mit physischer Arbeit verbunden ist, Anstreicher,
Bauarbeiter, Landwirtschaftshelfer, etc. Als Arzt oder Anwalt können sie hier,
so sie denn eine entsprechende Qualifikation haben, was ohnehin eher die
Ausnahme ist, nicht tätig sein, weshalb viele die das Glück hatten eine gute
Ausbildung bekommen zu haben nun im Ausland tätig sind und ihren Familien Geld
zur Unterstützung schicken. Zudem dürfen die Menschen auch aus den Camps, die
mehr als fünf Jahrzehnte nach ihrer Entstehung eher wie ärmliche Wohnviertel
wirken, im Normalfall nicht wegziehen, d.h. viele sterben im selben Camp in dem
sie geboren wurden. Die Perspektiven sind oft sehr frustrierend, Chancen das
Camp zu verlassen, eine andere Staatsbürgerschaft zu bekommen, einen normalen
Job und eine normale Wohnung zu finden, kurz gesagt einfach ein normales und
menschenwürdiges Leben zu führen bleibt vielen für immer verwehrt. Die
Palästinenser in diesem wie in anderen Camps sind quasi staatenlos, denn einen
palästinensischen Staat gibt es nicht und die meisten können auch nicht in ihre
alte Heimat zurück, so es denn ein zurück wäre, denn die meisten sind im
Libanon geboren und waren nie in der Westbank. Das Camp in dem wir waren hat
zudem die höchste Einwohnerdichte weltweit, pro Quadratkilometer leben 18.000
Menschen! Ich dachte bei dieser Zahl zunächst, dass das nicht möglich ist und
ich mich verhört habe, aber auch auf Nachfragen hin blieb es bei dieser
horrenden Zahl.
Nicht viel Tageslicht und ein Gewirr an Stromkablen: Die Hauptstraße" des Camps. |
Zudem fehlt es quasi an allem,
man läuft im Camp durch enge Gassen, die Häuser sind dicht aneinander gebaut um
keinen Platz zu verschwenden, unten in den Gassen ist es immer schattig. Die
Camps waren für viel weniger Menschen ausgelegt doch die Geburtenrate ist hoch
und nach mittlerweile mehreren Generationen steigt die Zahl der Menschen
stetig, die Größe des Camps aber bleibt gleich. Zwischen den Häusern hängt ein
Wirrwarr an Stromkabeln, bei dem man sich wundert, dass das Ganze überhaupt
irgendwie funktioniert. Damit sich die Menschen dort aber nicht zu sehr zu
Hause fühlen gibt es mehrere Stunden am Tag keinen Strom, nichts ungewöhnliches
für Beirut generell, aber dort scheint die Situation noch extremer und zudem
politisch gewollt zu sein. Das Wasser das aus den Leitungen kommt hat einen
extrem hohen Salzgehalt und die Menschen leben dicht gedrängt aneinander. Es
ist zwar nicht so, dass die Menschen das Camp nicht verlassen können, aber
wegziehen dürfen sie eben im Normalfall nicht.
Und täglich grüßt... Jasser Arafat, überall präsent im Camp. |
Diese Umstände in Betracht
ziehend ist es kein Wunder, dass viele die nichts zu verlieren haben sich für
den Kampf und Terror gegen Israel entscheiden. Das Konterfei von Jasser Arafat
ist allgegenwärtig im Camp und auch die „Märtyrer“ die im Kampf oder bei
Selbstmordattentaten umgekommen sind, sind überall in Form von Postern und
Bildern verewigt. Dabei war es teilweise schwierig Bilder zu machen, da wir
immer Aufpasser dabei hatten und es nur an manchen Stellen erlaubt war zu
fotografieren, an anderen nicht. Die allgemeine Perspektivlosigkeit derer die
nichts zu verlieren haben macht sie dann zu leichten Opfern für Extremisten.
Dabei sollte man allerdings nicht aus dem Auge verlieren, dass es sich um eine
kleine Minderheit handelt die sich für solche Aktionen entscheidet, der große
Rest versucht einfach irgendwie zu Überleben. Vielleicht gibt es auch doch noch
in dem ein oder anderen die Hoffnung, dass sich die Situation zum Besseren
wendet, auch wenn dazu nach den Rückschlägen der letzten Jahrzehnte eigentlich
wenig Anlass besteht. Auch die derzeitige Situation bleibt nach wie vor
angespannt, erst am vergangenen Montag gab es dort bei Auseinandersetzungen
Tote. Es ist auch nicht ganz einfach überhaupt Zutritt zu bekommen und wie
immer bedeutet das sich mit einem Haufen Bürokratie herumzuschlagen, bis man
alle nötigen Genehmigungen zusammen hat. Zu unserem Glück hat sich unsere
Dozentin um das Ganze gekümmert, die auch ständig von den Verantwortlichen
angerufen wurde, die wissen wollten wo im Camp genau wir uns befinden. Das
dient zum einen unserer Sicherheit, aber so eine gewisse Überwachung stellt es
schon auch dar. Zudem hatten wir einen Vertreter einer Menschenrechtsorganisation
(Palestinian Human Rights Organization) die sich für die Rechte der
Palästinenser im Libanon einsetzt dabei, sowie einen lokalen Guide.
Am Rande des Camps: Die Spuren des Krieges... |
Unter anderem besuchten wir die
Gedenkstätte für die Opfer des Massakers von 1982, die wenig mehr ist als ein
freier Platz mit einer Hinweistafel und Plakaten. Zudem waren wir bei der
Verwaltung des Camps die sich um Angelegenheiten wie Wasser- und
Stromversorgung kümmert. Dabei wurden wir in einen kleinen Raum gelotst, der
ein paar durchgesessene Sofas enthielt, und hinter einem Schreibtisch saß bzw.
standen unter dem obligatorischen Bild von Jasser Arafat drei der „Chefs“ der
Verwaltung und erklärten auf Arabisch einige Dinge, die dann von unserer
Dozentin auf Französisch übersetzt wurden. Obwohl kaum alle Teilnehmer in dem
Raum Platz fanden handelt es sich für Campverhältnisse um einen großen und
repräsentativen Raum, mehr geht auf so wenig Fläche einfach nicht. Typisch
libanesisch ist, dass alle rauchten (die Zigaretten scheinen hier sensationell
billig zu sein, und auch extrem viele Studenten rauchen, sogar die aus Europa,
fast alle Franzosen dich ich hier kenne rauchen, ich war echt erstaunt), was
man nachher auch am Geruch der Klammotten merkt und in der Ecke lief die ganze
Zeit, auch während des „Vortrags“ ein Fernseher auf voller Lautstärke, so als
ginge es darum wer wen besser übertönen kann. Es war jedenfalls eine
interessante Exkursion, die einem wieder deutlich vor Augen führt, welches
Glück man hat in einem reichen Land aufzuwachsen und sich frei bewegen zu
können. Zudem ergänzte diese Erfahrung gut die im Kurs in der Theorie
behandelten Themen und es ist leichter nachzuvollziehen wie sich bestimmte
Konflikte entwickelten.
Ein paar persönliche administrative Notizen zum Schluss: Am Dienstag habe ich pünktlich nach zwei Wochen meinen permis de séjour annuel abgeholt und war echt erleichtert, dass das alles so gut geklappt hat. Man muss nämlich for whatever reasons während der Bearbeitung auch seinen Pass bei der Sûreté Générale lassen. Diesbezüglich hatte ich schon einige Horrorgeschichten gehört, zum Beispiel von einer Schweizerin die auch an der USJ studiert und nun ihr zweites Semester hier verbringt, deren Pass war sage und schreibe vier Monate bei der SG. Man bekommt zwar so einen grünen Zettel mit Passbild drauf als Ersatz für die Zeit der Bearbeitung, aber dass man damit wirklich reisen könnte glaube ich nicht. Nunja, ich habe jedenfalls meinen Pass wieder, und nun auch meinen permis de séjour, das (verdiente) Glück des Tüchtigen, denn die Prozedur war schon eine echte challenge. Und ich habe nun seit letzter Woche auch einen Studentenausweis der USJ, es war also quasi die Woche der offiziellen Dokumente.
In diesem Sinne, peace aus
Beirut!
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