Anmerkung: Die meisten Bilder
sind aus dem Stadtteil Gemmayze, der nicht weit entfernt liegt von Sodeco, wo
ich wohne. Dort ist trotz Krieg noch relativ viel alte Bausubstanz erhalten
geblieben... aber auch da wird an jeder Ecke gebaut und Hochhäuser wachsen in
den Himmel.
So, jetzt geht er also los, der
Ernst des Lebens. Beziehungsweise, wie das so ist mit dem Leben und dem Ernst
desselben, wann es genau losgegangen ist mit dem ernst werden lässt sich im
Nachhinein immer schwer sagen (Schulanfang, Gymnasium, Obestufe, Abi, Bachelor,
wann auch immer), genau genommen findet der Ernst hier nur seine Fortsetzung.
Und Ernst sein ist ja bekanntlich alles! Zudem schließt sich der Ernst ziemlich
nahtlos an das gerade zu Ende gehende Semester in Augsburg an, mein letztes Essay
für Englisch habe ich erst von Beirut aus abgeschickt, aber das Wintersemester
12/13 ist nun für mich endgültig gelaufen. Auf in’s Sommersemester also...
Zum einen habe ich hier Kurse von
lettres francaises gewählt, einen zum Roman im 20. Jahrhundert und zum anderen
einen Kurs zur den Problemen der Autobiographie. Die Dozentin ist echt nett und
hat ihren Unterricht gleich mal mit der Frage „Wasistdas?“ eröffnet, da wusste
sie allerdings noch nicht, dass ich aus Deutschland komme. In den
Geisteswissenschaften ist das Geschlechterverhältnis ja selten ausgeglichen,
aber es war hier das erste Mal so, dass ich tatsächlich der einzige Mann im
Kurs war! Literaturstudien scheinen hier also fest in weiblicher Hand zu sein,
mal sehen wie es so ist der einzige Mann im Kurs zu sein und ob es eher ein
Vor- oder Nachteil ist, ein wenig strange ist es auf jeden Fall.
Die Uni hält hier auch manchmal
Überraschungen bereit, naja... zumindest für einen Deutschen ist es
überraschend wenn mitten in einem Kurs auf einmal das Licht ausgeht weil es mal
wieder einen Stromausfall gibt und man dann im Dunkeln sitzt. Davon lässt sich
hier aber kein Dozent aus der Ruhe bringen, der Unterricht läuft normal weiter
auch wenn es schon mal zehn Minuten dauern kann, bis es dann wieder hell wird
und er Stromausfall sein Ende findet. Manche Kurse haben wir ganz oben im
neunten Stock und abends hat man dann bei Stromausfall einen einmaligen Blick
auf das nächtlich beleuchtete Beirut unter einem; den Blick hat man zwar sonst
auch, aber wenn es drinnen hell ist kann man nicht so wirklich gut rausschauen,
deshalb freue ich mich immer wenn der Strom mal wieder abschmiert, solange man
nicht gerade im Aufzug feststeckt passt ja alles.
Unsere Literaturdozentin scheint
gerne zu reden (was unter Dozenten wohl auch keine Ausnahme ist) und hat auch
sehr persönliche und emotionale Geschichten erzählt. So zum Beispiel wie sie
den Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs 1975 erlebt hat. Sie erwähnte, dass
sie mit Freunden in Damaskus war, da eine ihrer Freundinnen bald heiraten
wollte. Als sie nach einem Wochenende zurück gefahren sind haben sie schon von
Weitem Rauch über Beirut gesehen und sie meinte, wenn sie damals gewusst hätte,
welches Leid noch auf sie und das Land zukommt, dann hätte sie sich damals mit
20 Jahren das Leben genommen. Krasse Sache sowas zu sagen, sie macht eigentlich
keinen unglücklichen Eindruck, eher im Gegenteil, aber man weiß natürlich nicht
was sie in den letzten Jahrzehnten so erlebt hat.
Der Standort der USJ an der Rue
de Damas ist historisch gesehen ohnehin interessant, da hier die former green
line, also die Demarkationslinie entlangläuft, nach dem Krieg stand hier also
so gut wie nichts mehr. Die feindlichen Lager beschossen sich von hier aus, auf
der einen Seite hauptsächlich Muslime, auf der anderen Seite vorwiegend
Christen (über die genauen Hintergründe des Konflikts werde ich in anderen
Kursen noch mehr erfahren und bin da im Moment auch noch weitgehend
ahnungslos). Heute sieht man davon nicht mehr viel, zerschossene Häuser stehen
fast überall in der Stadt mal ab und an, an der Rue de Damas ist aber fast
alles neu oder wiederaufgebaut. Laut der Dozentin, die damals in Beirut war,
war es jeden Morgen so, dass sich die Gegner über Lautsprecheranlagen
gegenseitig beschimpft haben, und dabei sogar die Namen des Gegenübers kannten.
Da beschimpfte Achmad zum Beispiel sein Gegenüber Yussuf und der schimpfte
zurück, das wiederholte sich dann immer wenn die Posten gewechselt wurden.
Eines Tages also schimpfte Achmad mal wieder, doch von der anderen Seite
ertönte eine fremde Stimme die er bis dahin gar nicht kannte. Achmad fragte
also was los sei, woraufhin man ihm sagte, dass sein Kontrahent getötet worden
sei. Laut unserer Dozentin hat Achmad daraufhin tatsächlich angefangen zu
weinen. Naja, erfundene Anekdote oder Wahrheit, der Punkt war wohl Menschlichkeit in
Zeiten des Krieges.
Überhaupt scheint bei vielen
Menschen hier, egal welcher Konfession sie angehören, die Religion eine
wichtige Rolle zu spielen. Was mir an der Uni und auf der Straße auffiel waren
die schwarzen Aschekreuze auf der Stirn, die man bei uns ja, sofern mich nicht
alles täuscht, erst am Aschermittwoch bekommt. Wohl kaum jemand würde aber in
Deutschland auf die Idee kommen, dann mit diesem Aschekreuz auf der Stirn am
nächsten Tag zur Arbeit oder Uni zu gehen. Hier ist das aber wohl ganz normal,
und das Aschkreuz gab es anscheinend schon am Sonntag, jedenfalls sind mir in
den ersten Tagen der Woche sehr viele Menschen mit diesem Symbol aufgefallen.
Auch die Müllentsorgung läuft hier
etwas anders als in Deutschland, von Mülltrennung hat man hier wohl noch nicht
so viel gehört. Das hat wohl aber damit zu tun, dass unser westliches
Umweltbewusstsein auch etwas mit Wohlstand zu tun hat. Jedenfalls landet hier
alles in einem Müllsack, und die Müllcontainer gehören nicht zu einzelnen
Häusern, sondern zu Straßenzügen. Der Müll wird dann noch zur Versorgungsquelle
für die, die im Leben nicht so viel Glück gehabt haben wie wir. Überhaupt, und
das fällt in Ägypten auf, aber eben auch hier im Libanon, merkt man was einem
wenn man nur in der westlichen Welt oder in Deutschland unterwegs wäre
vielleicht nicht ganz so deutlich wird, was wir eigentlich für ein Scheißglück
(sorry für den Ausdruck) haben im richtigen Land und der richtigen sozialen
Schicht geboren worden zu sein. Mit einem Dach über dem Kopf, Geld auf der Bank
und Essen auf dem Tisch. Hier gibt es wohl nicht wenige die von so etwas nur
träumen können, und für die das immer ein Traum bleiben wird, egal wie hart sie
arbeiten und wie sehr sie sich anstrengen. Egal ob es Müllsammler, jugendliche
Schuhputzer, Kinder die auf Kreuzungen Kaugummis verkaufen oder die einfachen
Bauarbeiter sind, für all jene wird es wohl sehr schwer werden in ihrem Leben
ihre Träume zu verwirklichen.
Dabei ist der Libanon wohl in
dieser Hinsicht nicht das krasseste Beispiel, aber es ist zumindest eindeutig
so, dass die soziale Schere zwischen arm und reich sehr weit auseinandergeht
und die Kontraste enorm sind. Eine Dozentin hat in dieser Beziehung den Libanon
mit den USA verglichen und gemeint, dass man innerhalb einer Generation von
einer unteren sozialen Schicht in die upper class kommen kann und es eine hohe
soziale Mobilität gibt. Das mag auf Manche zutreffen und es mag Fortschritte
bezüglich des Bildungssystems geben, das mehr Menschen die Chance auf sozialen
Aufstieg bietet, aber insgesamt halte ich das mit den Aufstiegschancen für ein
wenig euphemistisch. Wer ums tägliche Überleben kämpfen muss hat wohl nicht
besonders gute Aussichten auf Bildung. Es gibt sehr viele die hier in großen
Limousinen und teuren Sportwagen in der Gegend herumfahren, aber es gibt eben
auch sehr viele die an der Armutsgrenze leben. The rich get richer, the poor
get poorer. Dieser Slogan scheint auch im Libanon zutreffend zu sein. Das
zunehmende soziale Ungleichheit auch politischen und gesellschaftlichen
Konfliktstoff bietet ist altbekannt und man darf gespannt sein wie das so
weitergeht, wenn man arm ist und jeden Tag mit dem Reichtum anderer
konfrontiert ist dann ist das wohl noch viel frustrierender als ohnehin schon.
Noch scheint der soziale Frieden aber zu halten und die Menschen sind keinen
Meter aufdringlich, egal ob man durch ein armes oder reiches Viertel läuft,
eine angenehme Sache und etwas im Unterschied zu mancher Erfahrung die ich in
Ägypten gemacht habe
Auch heute wollte ich zur Uni
gehen, also hab ich auch gemacht, aber dort ist mir dann aufgefallen, dass es
irgendwie verdammt leer ist. Auch in dem Raum wo der Kurs hätte stattfinden
sollen war niemand, und so bin ich dann wieder gegangen. Erst auf dem Rückweg
ist mir dann aufgefallen, was mir eigentlich schon früher hätte auffallen
können, nämlich, dass es auch auf den Straßen extrem leer war. Das Ganze hat
mich schon irgendwie verwirrt, auch weil wir eigentlich einen Kalender von der
Uni bekommen haben auf dem Feiertage und Ferien eingetragen sind, da stand aber
für heute nichts. Zuhause habe ich dann erst mal das Internet bemüht, und siehe
da, heute ist hier... nein, nicht Valentinstag, also den gibt es auch aber das
würde wohl nicht zum Feiertag langen, sondern Rafiq al Hariri Memorial Day, der
libanesische Ministerpräsident der heute vor acht Jahren bei einem Anschlag in
Beirut ums Leben kam. So hatte ich dann unverhoffter Weise frei und habe mich
mit einer Österreicherin getroffen die in Kaslik direkt bei Beirut studiert. In
der Innenstadt war die Militärpräsenz etwas höher als sonst, abgesehen davon
hat man aber nicht viel von dem Gedenktag mitbekommen. Weiteres zu Unikursen
und Co dann demnächst, am Wochenende hätte ich eigentlich mal Lust aus Beirut
rauszukommen, aber das Wetter scheint ziemlich grottig zu werden und somit wird
das wohl erst mal verschoben... on va voir!
Soviel aus dem Libanon, was ich
übrigens definitiv nicht vermisst habe diese Woche war Karneval, in diesem
Sinne, Helau aus Beirut!
Linkin Park - Valentines Day
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