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Donnerstag, 14. Februar 2013

A walk through Gemmayze

Anmerkung: Die meisten Bilder sind aus dem Stadtteil Gemmayze, der nicht weit entfernt liegt von Sodeco, wo ich wohne. Dort ist trotz Krieg noch relativ viel alte Bausubstanz erhalten geblieben... aber auch da wird an jeder Ecke gebaut und Hochhäuser wachsen in den Himmel.

So, jetzt geht er also los, der Ernst des Lebens. Beziehungsweise, wie das so ist mit dem Leben und dem Ernst desselben, wann es genau losgegangen ist mit dem ernst werden lässt sich im Nachhinein immer schwer sagen (Schulanfang, Gymnasium, Obestufe, Abi, Bachelor, wann auch immer), genau genommen findet der Ernst hier nur seine Fortsetzung. Und Ernst sein ist ja bekanntlich alles! Zudem schließt sich der Ernst ziemlich nahtlos an das gerade zu Ende gehende Semester in Augsburg an, mein letztes Essay für Englisch habe ich erst von Beirut aus abgeschickt, aber das Wintersemester 12/13 ist nun für mich endgültig gelaufen. Auf in’s Sommersemester also... 

 
Zum einen habe ich hier Kurse von lettres francaises gewählt, einen zum Roman im 20. Jahrhundert und zum anderen einen Kurs zur den Problemen der Autobiographie. Die Dozentin ist echt nett und hat ihren Unterricht gleich mal mit der Frage „Wasistdas?“ eröffnet, da wusste sie allerdings noch nicht, dass ich aus Deutschland komme. In den Geisteswissenschaften ist das Geschlechterverhältnis ja selten ausgeglichen, aber es war hier das erste Mal so, dass ich tatsächlich der einzige Mann im Kurs war! Literaturstudien scheinen hier also fest in weiblicher Hand zu sein, mal sehen wie es so ist der einzige Mann im Kurs zu sein und ob es eher ein Vor- oder Nachteil ist, ein wenig strange ist es auf jeden Fall.




Die Uni hält hier auch manchmal Überraschungen bereit, naja... zumindest für einen Deutschen ist es überraschend wenn mitten in einem Kurs auf einmal das Licht ausgeht weil es mal wieder einen Stromausfall gibt und man dann im Dunkeln sitzt. Davon lässt sich hier aber kein Dozent aus der Ruhe bringen, der Unterricht läuft normal weiter auch wenn es schon mal zehn Minuten dauern kann, bis es dann wieder hell wird und er Stromausfall sein Ende findet. Manche Kurse haben wir ganz oben im neunten Stock und abends hat man dann bei Stromausfall einen einmaligen Blick auf das nächtlich beleuchtete Beirut unter einem; den Blick hat man zwar sonst auch, aber wenn es drinnen hell ist kann man nicht so wirklich gut rausschauen, deshalb freue ich mich immer wenn der Strom mal wieder abschmiert, solange man nicht gerade im Aufzug feststeckt passt ja alles.


Unsere Literaturdozentin scheint gerne zu reden (was unter Dozenten wohl auch keine Ausnahme ist) und hat auch sehr persönliche und emotionale Geschichten erzählt. So zum Beispiel wie sie den Ausbruch des libanesischen Bürgerkriegs 1975 erlebt hat. Sie erwähnte, dass sie mit Freunden in Damaskus war, da eine ihrer Freundinnen bald heiraten wollte. Als sie nach einem Wochenende zurück gefahren sind haben sie schon von Weitem Rauch über Beirut gesehen und sie meinte, wenn sie damals gewusst hätte, welches Leid noch auf sie und das Land zukommt, dann hätte sie sich damals mit 20 Jahren das Leben genommen. Krasse Sache sowas zu sagen, sie macht eigentlich keinen unglücklichen Eindruck, eher im Gegenteil, aber man weiß natürlich nicht was sie in den letzten Jahrzehnten so erlebt hat.



Der Standort der USJ an der Rue de Damas ist historisch gesehen ohnehin interessant, da hier die former green line, also die Demarkationslinie entlangläuft, nach dem Krieg stand hier also so gut wie nichts mehr. Die feindlichen Lager beschossen sich von hier aus, auf der einen Seite hauptsächlich Muslime, auf der anderen Seite vorwiegend Christen (über die genauen Hintergründe des Konflikts werde ich in anderen Kursen noch mehr erfahren und bin da im Moment auch noch weitgehend ahnungslos). Heute sieht man davon nicht mehr viel, zerschossene Häuser stehen fast überall in der Stadt mal ab und an, an der Rue de Damas ist aber fast alles neu oder wiederaufgebaut. Laut der Dozentin, die damals in Beirut war, war es jeden Morgen so, dass sich die Gegner über Lautsprecheranlagen gegenseitig beschimpft haben, und dabei sogar die Namen des Gegenübers kannten. Da beschimpfte Achmad zum Beispiel sein Gegenüber Yussuf und der schimpfte zurück, das wiederholte sich dann immer wenn die Posten gewechselt wurden. Eines Tages also schimpfte Achmad mal wieder, doch von der anderen Seite ertönte eine fremde Stimme die er bis dahin gar nicht kannte. Achmad fragte also was los sei, woraufhin man ihm sagte, dass sein Kontrahent getötet worden sei. Laut unserer Dozentin hat Achmad daraufhin tatsächlich angefangen zu weinen. Naja, erfundene Anekdote oder Wahrheit, der Punkt war wohl Menschlichkeit in Zeiten des Krieges.


Überhaupt scheint bei vielen Menschen hier, egal welcher Konfession sie angehören, die Religion eine wichtige Rolle zu spielen. Was mir an der Uni und auf der Straße auffiel waren die schwarzen Aschekreuze auf der Stirn, die man bei uns ja, sofern mich nicht alles täuscht, erst am Aschermittwoch bekommt. Wohl kaum jemand würde aber in Deutschland auf die Idee kommen, dann mit diesem Aschekreuz auf der Stirn am nächsten Tag zur Arbeit oder Uni zu gehen. Hier ist das aber wohl ganz normal, und das Aschkreuz gab es anscheinend schon am Sonntag, jedenfalls sind mir in den ersten Tagen der Woche sehr viele Menschen mit diesem Symbol aufgefallen.




Auch die Müllentsorgung läuft hier etwas anders als in Deutschland, von Mülltrennung hat man hier wohl noch nicht so viel gehört. Das hat wohl aber damit zu tun, dass unser westliches Umweltbewusstsein auch etwas mit Wohlstand zu tun hat. Jedenfalls landet hier alles in einem Müllsack, und die Müllcontainer gehören nicht zu einzelnen Häusern, sondern zu Straßenzügen. Der Müll wird dann noch zur Versorgungsquelle für die, die im Leben nicht so viel Glück gehabt haben wie wir. Überhaupt, und das fällt in Ägypten auf, aber eben auch hier im Libanon, merkt man was einem wenn man nur in der westlichen Welt oder in Deutschland unterwegs wäre vielleicht nicht ganz so deutlich wird, was wir eigentlich für ein Scheißglück (sorry für den Ausdruck) haben im richtigen Land und der richtigen sozialen Schicht geboren worden zu sein. Mit einem Dach über dem Kopf, Geld auf der Bank und Essen auf dem Tisch. Hier gibt es wohl nicht wenige die von so etwas nur träumen können, und für die das immer ein Traum bleiben wird, egal wie hart sie arbeiten und wie sehr sie sich anstrengen. Egal ob es Müllsammler, jugendliche Schuhputzer, Kinder die auf Kreuzungen Kaugummis verkaufen oder die einfachen Bauarbeiter sind, für all jene wird es wohl sehr schwer werden in ihrem Leben ihre Träume zu verwirklichen. 


Dabei ist der Libanon wohl in dieser Hinsicht nicht das krasseste Beispiel, aber es ist zumindest eindeutig so, dass die soziale Schere zwischen arm und reich sehr weit auseinandergeht und die Kontraste enorm sind. Eine Dozentin hat in dieser Beziehung den Libanon mit den USA verglichen und gemeint, dass man innerhalb einer Generation von einer unteren sozialen Schicht in die upper class kommen kann und es eine hohe soziale Mobilität gibt. Das mag auf Manche zutreffen und es mag Fortschritte bezüglich des Bildungssystems geben, das mehr Menschen die Chance auf sozialen Aufstieg bietet, aber insgesamt halte ich das mit den Aufstiegschancen für ein wenig euphemistisch. Wer ums tägliche Überleben kämpfen muss hat wohl nicht besonders gute Aussichten auf Bildung. Es gibt sehr viele die hier in großen Limousinen und teuren Sportwagen in der Gegend herumfahren, aber es gibt eben auch sehr viele die an der Armutsgrenze leben. The rich get richer, the poor get poorer. Dieser Slogan scheint auch im Libanon zutreffend zu sein. Das zunehmende soziale Ungleichheit auch politischen und gesellschaftlichen Konfliktstoff bietet ist altbekannt und man darf gespannt sein wie das so weitergeht, wenn man arm ist und jeden Tag mit dem Reichtum anderer konfrontiert ist dann ist das wohl noch viel frustrierender als ohnehin schon. Noch scheint der soziale Frieden aber zu halten und die Menschen sind keinen Meter aufdringlich, egal ob man durch ein armes oder reiches Viertel läuft, eine angenehme Sache und etwas im Unterschied zu mancher Erfahrung die ich in Ägypten gemacht habe

 
Auch heute wollte ich zur Uni gehen, also hab ich auch gemacht, aber dort ist mir dann aufgefallen, dass es irgendwie verdammt leer ist. Auch in dem Raum wo der Kurs hätte stattfinden sollen war niemand, und so bin ich dann wieder gegangen. Erst auf dem Rückweg ist mir dann aufgefallen, was mir eigentlich schon früher hätte auffallen können, nämlich, dass es auch auf den Straßen extrem leer war. Das Ganze hat mich schon irgendwie verwirrt, auch weil wir eigentlich einen Kalender von der Uni bekommen haben auf dem Feiertage und Ferien eingetragen sind, da stand aber für heute nichts. Zuhause habe ich dann erst mal das Internet bemüht, und siehe da, heute ist hier... nein, nicht Valentinstag, also den gibt es auch aber das würde wohl nicht zum Feiertag langen, sondern Rafiq al Hariri Memorial Day, der libanesische Ministerpräsident der heute vor acht Jahren bei einem Anschlag in Beirut ums Leben kam. So hatte ich dann unverhoffter Weise frei und habe mich mit einer Österreicherin getroffen die in Kaslik direkt bei Beirut studiert. In der Innenstadt war die Militärpräsenz etwas höher als sonst, abgesehen davon hat man aber nicht viel von dem Gedenktag mitbekommen. Weiteres zu Unikursen und Co dann demnächst, am Wochenende hätte ich eigentlich mal Lust aus Beirut rauszukommen, aber das Wetter scheint ziemlich grottig zu werden und somit wird das wohl erst mal verschoben... on va voir!

Soviel aus dem Libanon, was ich übrigens definitiv nicht vermisst habe diese Woche war Karneval, in diesem Sinne, Helau aus Beirut!

Linkin Park - Valentines Day

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