Ich atme seit fast einem Vierteljahrhundert! Ständig, immer,
ohne Unterbrechung! Ich atme 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im
Jahr, außer in Schaltjahren, da sind es sogar 366 Tage an denen ich atme. Seit
9081 Tagen ist kein Tag vergangen an dem ich nicht geatmet habe.
Ich habe geatmet als die Mauer fiel, als das World Trade
Center einstürzte, als Barack Obama erster schwarzer US-Präsident wurde und als
die arabische Welt ihre Despoten geschasst hat.
Ich habe geatmet als
ginge es und Leben und Tod, und das war richtig, denn beim Atmen geht es um
nicht weniger als Leben und Tod!
Ich habe bei Regen geatmet, bei Sonnenschein, bei Bewölkung,
bei Schneefall, bei Lärm, bei Graupel, bei
Hagel, in Staus, an Feiertagen, bei Beerdigungen und Hochzeiten, bei Hitze und Kälte, in der Ferne und Zuhause.
Ich atmete die dickste Luft der Welt ein, am Toten Meer, dem
tiefsten Punkt der Erde, und ich habe schwer die Luft eingesaugt auf über 3000
m in den Alpen. Ich habe auf fünf Kontinenten geatmet, in 15 Ländern dieser
Erde. Ich habe atmend gesucht, überall, was ich suchte weiß ich nicht, was ich
atmete weiß ich: Luft. Ich habe die feucht-warme Luft in den Regenwäldern an
Australiens Ostküste eingeatmet, die staubige und versmogte Luft Kairos, die
trockene Luft der Wüste, die klare Luft an einem eisigen Wintertag, ich habe in
den endlosen Wäldern und Bergen der Rockies geatmet und in den hektischen Metropolen
wie New York oder Paris. Ich habe an einem Kiesstrand in Nizza geatmet, mit dem
Meer vor und den Sternen über mir und der Hoffnung, dass die Nacht nie enden
würde, und ich atmete immer noch am nächsten Morgen, als ich feststellte, dass
die Nacht doch unwiederbringlich vorbei war. Ich
habe die klare Luft nach einem Sommerregen eingeatmet, salzige Meeresluft oder
den einzigartigen Duft von warmen Pinienwäldern.
Ich habe in Annecy, Augsburg, Berlin, Brisbane, Boston,
Banff, Como, Dahab, Dubrovnik, En Gedi, Essen, Èze, Frankfurt, Göteburg, Haifa,
Innsbruck, Jerusalem, Kairo, Kotor, Montréal, Melbourne, München, Mostar, New
York, Nizza, Nürnberg, Niagara Falls, Oslo, Paris, Perugia, Philadelphia, Rom,
Rockhampton, Revelstoke, Stockholm, Sydney, Sulmona, Split, Tel Aviv, Toronto,
Trondheim, Vancouver, Venedig, Washington D.C., Wiesbaden, Wien, Zagreb und an
vielen weiteren Orten geatmet, ich könnte sie aufzählen bis ich atemlos wäre.
Ich habe als Schüler geatmet, als Autofahrer, als
Verliebter, als Reisender, als zu Tode Betrübter, als Freund, als Bruder, als
Sohn, als Enkel, als Student, als Fremder, als Sportler, als Vorbild, als
Versager, als Verbündeter und als Feind, als Sieger und als Besiegter.
Ich habe an Tiefpunkten geatmet, als jeder Atemzug einem
Stich ins Herz glich, ich habe bei Erfolgen geatmet, nach Herausforderungen
aufgeatmet, wegen Aufregung schneller geatmet, oder fühlte mich bei Müdigkeit
zu müde zum atmen.
Ich atmete weinend und lachend, skeptisch und
zuversichtlich, gestresst und relaxt, ich atmete schreiend und schweigend,
fluchend und freudig, schreibend, denkend, schlafend, rennend, ich atmete beim
Fahren und Laufen, beim Trinken, beim Lesen, beim Träumen.
Ich atmete in Zügen, in Schulen, auf Ämtern, in Kinos, in
Flugzeugen, in Bussen, auf Hausdächern, an Ozeanen, in miefigen Hostelzimmern, auf
Straßen, in Theatern, in Gärten, auf öffentlichen Plätzen, in Treppenhäusern, in
dunklen Höhlen, in Universitäten, in Wäldern und Wüsten, in tiefen Tälern und
auf hohen Bergen, in Gegenwart von Menschen die ich liebte und Menschen die ich
hasste. Ich habe viel allein geatmet, und wenig gemeinsam.
Schwarze atmen, Weiße atmen, Arme atmen genauso wie Reiche,
Rentner atmen und Kinder atmen, Tiere atmen, Pflanzen atmen, alles atmet! Atmen
macht uns gleich, verwischt Unterschiede, niemand kann es sich leisten nicht zu
atmen, egal wie viel Geld auf dem Konto ist. Atmen ist paradox, denn es ist gleichzeitig
kostenlos und unbezahlbar.
Ich habe immer geatmet und nie damit aufgehört, auch wenn es
mir oft sinnlos erschien, ich habe weitergeatmet, nichts hat mich daran
gehindert, selbst die atemberaubendsten Dinge haben mir nicht lange den Atem
geraubt.
Es ist neben der Suche nach dem Glück die einzige Konstante
meines Lebens, das Atmen.
Ich kam, sah und atmete. Ich atme also bin ich. Wer atmet
hat Recht.
Es ist die einfachste und selbstverständlichste Sache der
Welt, die am wenigsten hinterfragte Tätigkeit der Menschheit, das Atmen. Jeder
kann es, jeder tut es, und wer es nicht oder nicht mehr kann, verschwindet,
hört auf zu existieren. Ich war erfolgreich im Atmen, denn ich tue es noch
immer. Atmen heißt Leben, nicht atmen heißt Tod. Sein oder Nicht Sein hängt
davon ab.
Ich habe viel geatmet, aber das reicht nicht. Ich will mehr
als Luft atmen, ich will Leben und Liebe atmen!
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